Grundstein
Juni 2012
Klein, fies und gemein - das kann doch nur ein Meerschwein sein!
Gar nicht wahr? Aber sichi! Diese kleinen nervigen Felldinger können einem schon mächtig auf den Sack gehen. Auch wenn man keinen hat.
Getreu dem Motto: „Hinter einer weichen Schale verbirgt sich ein harter Kern“, terrorisieren diese birnenförmigen Monster jeden Tag ihre zweibeinigen Mitbewohner bis zum Nervenzusammenbruch und glotzen sie dann auch noch unschuldig und kugeläugig an, als ob nichts gewesen wäre.
Der Tag beginnt.
6:00 Uhr Ortszeit
Die letzte Nacht war kurz.
Zu kurz.
Bin meinen ehelichen Pflichten nachgekommen.
Das Nachspiel musste sein (sie hatte Geburtstag).
Bin erst gegen 1:00 Uhr zum Schlafen gekommen.
Der Wecker klingelt.
Zum 3. Mal.
Ich drehe die Beine aus dem Bett und setze mich auf.
Mein Kopf fühlt sich an, als ob er liegen geblieben wäre.
Zombieartig schlurfe ich zur Schlafzimmertür, trete auf einen Puschen und breche mir fast den Knöchel.
Ach ja.
Puschen anziehen.
Der Schädel brummt.
Zuviel Lambrusco, zuwenig Schlaf.
Ich öffne die Tür und schlurfe in den Flur.
Der Klang der Hausschuhe auf dem Laminat lässt das Grauen erwachen: „QUIEK, QUIEK, QUIEK, QUIEK, QUIEK, QUIEK, QUIEK!“
„grmlgrmpfgrmlf“ (= „Ja doch! Es gibt gleich was!“)
„QUIEK, QUIEK, QUIEK, QUIEK, QUIEK, QUIEK, QUIEK, QUIEK!“
„Ja doch HERRGOTT!“
„QUIEK, QUIEK, QUIEK, QUIEK, QUIEK, QUIEK, QUIEK, QUIEK!“
6:05 Uhr Ortszeit
Ich nehme mir vor, direkt nach dem Duschen das Tierheim anzurufen.
Besuch
Heute ist ein schöner Tag.
Die Schwiegermutter kommt zu Besuch.
Alles muss klinisch rein sein und gerade das „Zimmer mit den Viechern drin“ sollte nicht aussehen wie ein Schweinestall. Überall Einstreuflocken und Heuhalme. Erst fegen, dann saugen und zum Schluss noch einmal feucht drüber.
Fertig.
Irgendeine Fellbirne bettelt an der Plexiglasscheibe und hat eine Bohne zwischen den Zehen kleben.
Hat?
Hatte!
Mit einem leisen Klöddern fällt die Bohne mitten in das frisch gewienerte Zimmer.
Zorn kommt auf und der Besen wird erneut geschnappt.
Meine Bewegung war wohl zu hektisch. Ein Schwein erschrickt und legt einen Raketenstart hin. Hinter ihm eine Einstreufontaine, die sich schön im Zimmer verteilt.
Als die Schwiegermutter kommt, ist die Schweinezimmertür fest verschlossen. „Da war gerade der Kammerjäger drin. Da können wir heute nicht mehr rein.“
Krankenpflege
Wenn man Haustiere hat, ist man für ihr Wohlergehen verantwortlich. Auch an schlechten Tagen. Wie in der Ehe.
Zweimal täglich Augentropfen geben ist nicht spaßig, aber machbar.
Heute geht es abends aber schön zum Dinieren ins Restaurant. Tisch für 2 Personen um 19:00 Uhr beim Stammitaliener. Man muss sich auch mal was gönnen.
Schön herausgeputzt die Autoschlüssel bereits in der Hand erklingt der Ruf, der einen wieder in die Wirklichkeit holt: „Schatz? Wir müssen noch Augentropfen geben!“
Hatte ich vergessen...
Nach einer wilden Verfolgungsjagd durchs ganze Schweinezimmer sitzt das Schwein auf meinem Schoß und lässt die simple Prozedur (2 Tropfen!) über sich ergehen.
Nachdem diese Tortur überstanden ist, entlädt es vor Erleichterung seine Blase.
Mit einem neuen Anzug am Körper treffen wir um 19:30 im Restaurant ein. Der reservierte Tisch ist bereits wieder vergeben.
Einstreu
Heute wird es nicht nur heiß, sondern, da es letzte Nacht ordentlich geregnet hat, auch noch beachtlich schwül: 35°C.
Der strategisch planende Mensch steht extra früh auf (und lässt oben genannte 6:00 Uhr Prozedur über sich ergehen) und erfrischt sich mit einer kühlen Dusche. Ein neues T-Shirt aus dem Schrank und los gehts zum Einstreu-Ballen-holen. Bloß vor der extremen Hitze wieder zu Hause sein.
Angekommen am ländlichen Bauernhof (einziger Allspan-Dealer in der Region) lädt man die schweren Ballen in den Kofferraum. Der Regen der letzten Nacht hat seine Spuren auf der Plastikverpackung hinterlassen. Und diese hinterlässt ihre Spuren auf den Armen. Siffiges Nass, läuft beim Tragen bis zu den Ellenbogen runter. Lecker!
6 Ballen sind im Kofferraum, die Arme total eingeschmiert und der Schweiß läuft bis zum Arsch den Rücken runter. So wird das teure Lederlenkrad aus dem Tuningkatalog mal wieder schön eingesifft.
Geschaftt? Nicht wirklich.
Die gleiche Prozedur gibts dann noch einmal beim Ballen-in-den-Keller-tragen. Ist der letzte Einstreuballen gut verstaut, steht man klebrig schwitzend mit dreckigen Armen vor dem leeren Kofferraum und fragt sich, wie man die Flecken wieder aus dem Nadelfilz des Kofferraumbelages bekommt.
Aber halb so wild, das Einstreu wird ja nur kurz genutzt und schon bald wieder mit dem gleichen Fahrzeug zur Müllverwertung gebracht…
Krallenschneiden
Regelmäßige Öttiküre ist notwendig, denn sich die eigenen Krallen in die Fußsohle zu laufen, ist unangenehm.
Die Rollenverteilung ist klar:
A jagt die Bande in ein nicht überdachtes Abteil des Schweinewohnheims.
B riegelt die Fluchtmöglichkeit in die überdachte Ecke mit einem Brett ab.
B hebt das Haus, unter dem alle Schweine Schutz gesucht haben, hoch.
A pflückt das nächstbeste Ötti (Ö).
Meerschweinchen können, wie so viele Tiere, Stimmungen aufnehmen und passend verarbeiten. Ein entspannter Reiter wird ein viel ruhigeres Pferd unter sich haben, als ein ängstlicher Choleriker.
Die Vorgehensweise ist daher klar:
A atmet ruhig, hält Ö locker vor dem Bauch und spricht beruhigende Worte wie „Ganz ruhig, ist ja gar nicht so schlimm.“
B hält die Krallenschere mit ruhiger Hand und murmelt entspannt: „Sooo, jetzt ein kurzer harmloser Knips und schon ist alles vorbei.“
Ö denkt: „Ach du Scheiße! Jetzt amputieren die mir alle Gliedmaßen und essen mich dann auf!“ und reagiert entsprechend unentspannt: Faust machen, mit den Füßen so lange strampeln, bis man sich vom Arm abstoßen kann wie eine Ariane-Rakete und schreien als ob bereits eine Pfote weniger da ist (obwohl die Krallenschere noch 10 cm entfernt ist).
Menschen können, wie so viele Tiere, Stimmungen aufnehmen und passend verarbeiten. Ein Chirurg wird bei einem nicht-sedierten Patienten, der wild um sich schlägt, keine so ruhige Hand behalten wie bei einem voll narkotisierten.
B versucht krampfhaft, eine Kralle zwischen die Schere zu bekommen und hat Angst, zu viel abzuschneiden.
A kann nicht mehr hinsehen da es so aussieht als würde B die ganze Zehe abschneiden.
Beide haben die Pulsfrequenz eines Schlag-den-Raab Kandidaten bei einem Matchball-Spiel.
Meerschweinchen können, wie so viele Tiere, Stimmungen aufnehmen und passend verarbeiten. Ein fest auf einem menschlichen Oberkörper mit 200 Herzschlägen in der Minute angepresstes Meerschweinchen mit einer kalten, scharfen Schere um der Kralle, die von einer zitternden Hand gehalten wird, ist nicht ganz so entspannt, wie ein Meerschweinchen in einer mit Heu gefüllten Fleece-Rolle.
Sind irgendwann alle 14 Krallen gekürzt, entspannen sich A und B bei einer Runde Bungee-Jumping.
Ist der Puls wieder soweit runtergefahren, dass man den Herzschlag nicht mehr hinter der Stirn spürt, kann man sich das nächste Schweinchen pflücken.
Och, schön, diesmal haben wir eines mit schwarzen Krallen…
Krankenpflege die 2.
Schwein ist krank. Kann passieren. Ist aus mehreren Gründen für das menschliche Wohlbefinden nicht sehr zuträglich. Mitleid, Arbeit, Nerven, Kosten und noch mehr Mitleid.
Nicht schön.
Krankschwein hat es auch nicht leicht. Schmerzen, Beeinträchtigungen, Hilflosigkeit, Nichtverstehen und ständiges Herausnehmen für Fahrten zum Tierarzt, Medikamentengabe, Kontrolle.
Nicht schön.
Die Gesundschweine sind aber auch arm dran. Es nervt, wenn ständig einer aus der Gruppe rausgeangelt wird. Obwohl man selbst gesund ist, kann es einen ja vielleicht aus Versehen doch treffen. Außerdem gefährden kranke Tiere die Gruppe und können Schattenwölfe, Andengeier, Stachelrochen und andere Räuber anlocken.
Nicht schön.
Was tun?
Der Krankenpfleger muss da einfach durch. Ist schließlich sein Job. Hat er auf so was keine Lust, sollte er sich mittelfristig um pflegeleichtere Mitbewohner bemühen. Zum Beispiel einen Haufen Kies, einen Schwarm Schaufensterpuppenarme oder eine Kleingruppe ausgemusterter Linienbusreifen.
Das Krankschwein muss da einfach durch. Hoffen, dass der Pfleger sich gut kümmert und man wieder gesund wird.
Die Gesundschweine müssen da einfach durch. Tun sie aber nicht!
Ein kranker Mitbewohner bietet ja so viele tolle Möglichkeiten und Abwechslungen im Schweinealltag!
Liegt der kranke Genosse teilnahmslos in einer Hütte? Super! Der Pfleger packt da immer ne Extraportion Heu hin. Das schmeckt viel besser als das gleiche Heu aus der Raufe oder anderswoher.
Gibt es extra kleingeschnittene Gemüsestreifen oder womöglich sogar Möhrenbrei? Toll! Das schmeckt viel besser als Gemüse am Stück. Zumindest bis das kleingeschredderte weggemampft ist. Dann kann man ja die Stücke auch noch essen. Der kranke Mitbewohner kommt da ja sowieso nicht hin und man hat noch mehr für sich.
Teilnahmslos ist sowieso ne tolle Sache. Wenn sich jemand aus der Gruppe zeitweise abmeldet, kann man super versuchen, seinen Platz in der Hierarchie einzunehmen. Und weil man schon dabei ist, kann man gleich die anderen gesunden Leute auch noch anpöbeln. Toll!
Und das Beste ist eigentlich immer, wenn das Krankschwein mit Spezialbreimischungen gefüttert werden muss. Meist schmeckt es nicht oder Krankschwein mag einfach nicht essen. Nach einer gefühlt endlosen, mehr oder weniger erfolglosen Päppelaktion, bei der der Schreibtisch mit Herbi Care, die Zimmerdecke mit Bene-Bac, die Wände mit Rodikolan, die Straße vor dem Haus mit sab simplex und der ganze Fußboden mit Hokuspokus-das-Wasser-erinnert-sich-an-den-Wirkstoff Kügelchen vollgesaut ist, schnappt man sich einfach den Löffel des Päpplers und schmatzt das leckere Breizeugsgemisch genussvoll weg. Schmeckt doch! Wo ist eigentlich das Problem?
Das Problem???
Man reißt sich den Arsch auf um das Krankschwein wieder gesund zu machen! Und Ihr? Ihr mobbt die arme Sau wo ihr nur könnt, fresst ihm alles weg, geht ihm auf den Keks und macht mich zu einem nervlichen Wrack!
Das ist das Problem!!!
Hab euch trotzdem lieb. Und da muss man wohl einfach durch…
P.S.: Meerschweinchen zu verschenken!