Die etwas andere Meerschweinchenseite
  Wildschweinchen
 
Grundstein
Grundstein
April 2010

Die Vorfahren – Wild(meer)schweinchen

Die meisten Öttihalter wissen, dass Meerschweinchen ursprünglich aus Südamerika stammen. Dort leben ihre wilden Vorfahren noch heute in Trockensavannen, Grasland, Hecken- und Buschland, sowie in den Anden.

Die kleinen „Wildschweinchen“ scheinen bei weitem nicht so verwöhnt zu sein, wie unsere Hausmeerschweinchen. Selbst in Höhen von gut 4000m leben noch wilde Meerschweinchengruppen in kargen Landschaften. Dort wohnen sie in Felsspalten und Erdhöhlen. Allerdings zeigt sich dort schon ein etwas bequemer Charakterzug, der sich auch bei unseren Hausschweinchen finden lässt: Wildmeerschweinchen graben ihre Höhlen nicht selbst, sondern nutzen verlassene Höhlen, die andere Tierarten gebaut haben. Daher verwundert es nicht, dass auch Hausmeerschweinchen die Fertig-Haus-Variante bevorzugen und in bereitgestellte Häuschen einziehen, anstatt selbst zu bauen.

Meerschweinchen wohnen in einem Zelt

Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Wild- und Hausmeerschweinchen ist die Lieblingsbeschäftigung: Beide verbringen den größten Teil des Tages mit der Nahrungsaufnahme. Die wilden, weil sie es müssen (Gräser sind in den Anden eben rar und auch nicht besonders nahrhaft) – die anderen, weil es schmeckt. Wer kann schon widerstehen, wenn es ständig leckere Kräuter, Gemüse, etc. im Überfluss gibt? Daher ist es kein Wunder, dass Hausmeerschweinchen leicht ein bisschen pummelig werden.
Die Geschmäcker sind bei den beiden Verwandten auch recht ähnlich. Sowohl wilde als auch häusliche Meerschweinchen fressen am liebsten Gräser und Kräuter, Blätter, Blüten, Rinde und Co. Nur die Kakteen, die auch zum Speiseplan der Wildmeerschweinchen zählen, würden von den verwöhnten Schnuten hierzulande sicherlich verschmäht.
Achtung: Auf keinen Fall einfach die Kakteen von der Fensterbank an deine Schweinchen verfüttern! Nahezu alle im Handel erhältlichen Zimmerpflanzen sind für Meerschweinchen giftig und dürfen auf keinen Fall verfüttert werden! Die einzige Ausnahme bildet die nur wenig bekannte Gurken-Dill-Kaktee, die im folgenden Bild zu sehen ist.

wilde Meerschweinchen essen Kakteen

Das Zusammenleben der Wildmeerschweinchen ist im Grunde recht ähnlich, wie in der Sifle-Truppe. In den meisten Fällen lebt ein Männchen in einem kleinen Harem mit ca. 3 Weibchen. Der Andi kann sich also glücklich schätzten, dass er sogar vier Weibchen hat. Nun gut – dafür sind einige recht zickige dabei, die ein südamerikanischer Wildschweinchenbock wahrscheinlich längst aus seinem Harem rausgeschmissen hätte… Aber es kann ja auch nicht nur Vorteile haben, in einem Luxusapartment mit Vollpension zu wohnen. Da kann man sich seine Mitbewohner eben nicht aussuchen.

Wie kamen die Meerschweinchen zu den Menschen?

Die Menschen haben Meerschweinchen schon früh zu schätzen gelernt. Die Inkas hatten bereits vor ca. 9.000-6.000 Jahren eine Vorliebe für Meerschweinchen, da sie sehr eiweißhaltig und somit nahrhaft sind. Tja, auf die inneren Werte kommt es eben an… Zu diesem Zeitpunkt wurden allerdings nur wildlebende Schweinchen gejagt.

Wildmeerschweinchen isst Stroh

Das Zusammenleben von Mensch und Meerschwein begann erst etwas später, vermutlich vor ca. 6.000-3.000 Jahren, da die Meerschweinchen endlich nicht mehr nur Beute von Menschen sein wollten, sondern ihren eigenen Vorteil beim Menschen suchten. Typische Fressfeinde trauten sich an menschliche Siedlungen nicht dicht heran, sodass es für die Schweinchen in Menschennähe recht sicher war. (Nur vor den hungrigen Inkas mit akutem Eiweißmangel musste man sich in Acht nehmen!). Ein weitere Vorteil der menschlichen Gesellschaft waren natürlich Nahrungsreste, die den Schweinchen das Leben leichter machten. In der Nähe von Menschen gibt es eigentlich immer etwas Leckeres. Was heute die Maispellets sind, waren damals vermutlich Beeren oder Kräuter. Damals wie heute überwinden Meerschweinchen ihre Angst vor dem Menschen, wenn dabei etwas Leckeres für sie herausspringt.

So entwickelten sich die wilden Nutznießer langsam zu Haustieren. Und auch die Inkas merkten schnell, dass Meerschweinchen echte Nutztiere sind, die vielfältige Verwendungszwecke haben und deswegen gezielt gezüchtet und in den Häusern gehalten wurden.

Meerschweinchen nutzten den Inkas als Alarmanlage, die zuverlässig vor Gefahren warnt. Sie knackten harte Schalen von Nüssen, die die Inkas dann dreisterweise selbst aufmampften. Außerdem stimmten Meerschweinchen – laut dem Glauben der Inka – die Götter gnädig. (Was für ein Gott muss das sein, der die Opferung eines Meerschweinchens verlangt? Wir glauben, dass es einen Gott höchstens gnädig stimmt, seine Meerschweinchen gut zu versorgen…Aber das ist wohl eine Glaubensfrage.) Darüber hinaus dienten Meerschweinchen zur Heilung im Krankheitsfall (siehe auch: Meerschweinchen in Südamerika).

Wildmeerschweinchen von der Seite

Wildmeerschweinchen vs. Hausmeerschweinchen

Die Meerschweinchen wurden über die Jahrhunderte und Jahrtausende von den südamerikanischen Bewohnern gezielt gezüchtet und als Haustier gehalten. Solche drastischen Veränderungen des Lebensstils führen immer auch zu Veränderungen bei den Lebewesen selbst. Die Südamerikaner wurden bestimmt viel ausgeglichener und fröhlicher durch die Gesellschaft der süßen Schweinchen. Doch auch die Schweine selbst veränderten sich in Aussehen und Verhalten.

Wildmeerschweinchen von oben

Am auffälligsten ist wohl die Veränderung des Fells. Durch Züchtung erhielten die Tiere unterschiedlichste Fellfarben, -musterungen und auch unterschiedliche Felllängen und –strukturen. Anstelle des kurzen, glatten Fells in Wildfarben gab es nun auch weiße, rote, schwarze, langhaarige, gelockte, gewirbelte und viele andere Sorten Schweinchen. Im Gegensatz zu ihren freilebenden Verwandten können sich Hausmeerschweinchen diese auffällige Optik ja auch erlauben. Leuchtend rot-weiße Meerschweinchen mit lustigen Punkten wären dagegen auf grau-braunen Untergründen selbst für den kurzsichtigsten Andenkondor der Welt aus 3km Höhe eine leicht zu erkennende Beute.

Im Gegensatz zu der Wildform haben Hausmeerschweinchen eine rundere Kopf- und Ohrenform, kürzere und weniger kräftige Beine und einen insgesamt pummeligeren Körperbau. Ähnlich wie McDonalds die Erscheinungsform der Menschen verändert hat, führte auch der bequemere Lebensstil der Hausmeerschweinchen zu einer runderen Erscheinungsform, geringerer sportlicher Leistungsfähigkeit und einem Hang zur Adipositas. Hausmeerschweinchen wiegen rund ein Drittel mehr als ihre wilden Vorfahren und haben somit deutlich an Sprungkraft eingebüßt. Während Wildmeerschweinchen locker einen halben Meter und mehr überwinden können, ist für die meisten Hausmeerschweinchen bei 30 bis 40 cm das Ende der Fahnenstange erreicht. Als Konsequenz musste die Punktetabelle für die Bundes-Schwein-Spiele nicht etwa wie bei den Menschen nach Geschlecht getrennt werden, sondern nach Wild- vs. Hausmeerschweinchen.

Wildmeerschweinchen im Zoo

Doch nicht nur das äußere Erscheinungsbild hat sich verändert. Auch unsichtbare Unterschiede lassen sich finden. So ist der Darm bei Hausmeerschweinchen länger und der Magen – richtig geraten – deutlich größer.
Auch das Gehirn hat sich im Laufe des Zusammenlebens mit dem Menschen beim Meerschweinchen verändert. Wie sollen wir es interpretieren, wenn Tiere, die mit uns zusammenleben, ein um 13% leichteres Gehirn entwickeln? Bieten wir den Tieren nicht genügend intellektuelles Angebot? Sollten wir Meerschweinchen zur musikalischen Früherziehung schicken, um das Hirnwachstum anzuregen? Vermutlich ist das viel reizärmere Leben in Gefangenschaft für diese Gehirnschrumpfung verantwortlich. Meerschweinchen haben in menschlicher Gefangenschaft einfach viel weniger Aufgaben und erleben weniger Neues, was die grauen Zellen in Schwung hält. Dies sollte man als Anregung sehen, seinen Meerschweinchen ein möglichst abwechselungsreiches und unterhaltsames Leben zu bieten, damit die erbsengroße Nagermurmel ein bisschen gefordert wird und nicht ungenutzt eintrocknet wie eine alte Rosine.

Meerschweinchen Gehirn

Auch das Verhalten der Meerschweinchen hat sich im Laufe ihrer Domestikation verändert. In wissenschaftlichen Studien wurde festgestellt, dass Hausmeerschweinchen deutlich weniger Orientierungsverhalten (Aufrichten, Wittern, etc) zeigen als ihre wilden Verwandten und stattdessen mehr spielen.
Meerschweinchen in menschlicher Gefangenschaft können es sich einfach leisten, weniger aufmerksam zu sein und in der Gegend herumzudölmern. Während ein peruanisches Wildmeerschweinchen immer auf der Hut vor dem Andenkondor und anderen Fressfeinden ist und sich nur sprunghaft von einem Unterschlupf zum anderen bewegt, können Hausmeerschweinchen unbekümmert ihren Kopf in eine Heusocke bohren und so nach Leckerchen wühlen, bis der Magen voll ist.

Insgesamt sind Meerschweinchen durch das Leben als Haustier wesentlich gelassener und genügsamer geworden. Sie haben sich an die Vor- und Nachteile der Gefangenschaft angepasst und zeigen gegenüber Artgenossen deutlich weniger aggressives Verhalten als Wildmeerschweinchen. Sie leben auch auf engerem Raum friedlich miteinander (könnte das bitte auch mal jemand der Frieda erzählen?) und zeigen mehr positives Sozialverhalten gegenüber ihren Artgenossen. Vermutlich war dies auch notwendig, um sich auf dem engen Raum, den Menschen ihren Hausmeerschweinchen zur Verfügung stellen, nicht gegenseitig zu zerfleischen. Vermutlich sind sich die ersten Wildmeerschweinchen auf engem Raum auch gegenseitig an die Gurgel gegangen und es überlebten in Gefangenschaft nur die gutmütigeren Exemplare… Soviel zur natürlichen Selektion…

Meerschweinchen zerfleischen sich gegenseitig

Falls jetzt jemand denkt: „Meerschweinchen und gelassen? Ich kenne kaum eine schreckhaftere und schissbuchsigere Tierart als diese!“, dem sei gesagt: Die verstärkte Gelassenheit der Hausmeerschweinchen gegenüber ihren wildlebenden Verwandten lässt sich sogar medizinisch nachweisen. Wissenschaftler fanden im Blut von Wildmeerschweinchen unter Stress (Weihnachtsvorbereitung, Besuch der Schwiegermutter,…) deutlich höhere Konzentrationen von Cortisol und Adrenalin als bei Hausmeerschweinchen, was auf eine stärkere Stressreaktion bei den wilden Schweinchen hindeutet. Wildmeerschweinchen sind „unter Dauerstrom“ und durch kleinste Reize höchst erregbar. Diese stärkere „Nervosität“ ist für die Wildmeerschweinchen lebensnotwendig, da sie jederzeit aufmerksam und fluchtbereit sein müssen und im Zweifelsfall blitzschnell Entscheidungen zur Flucht treffen müssen. Auch wenn uns die Fluchtreaktion der Hausmeerschweinchen schnell erscheint – in den Augen eines Wildmeerschweinchens erscheint dieses Reaktionsvermögen vermutlich vergleichbar mit einer Schildkröte.

Auch das Werbeverhalten der männlichen Meerschweinchen hat sich durch die Haltung beim Menschen stark verändert. Während die Männchen in freier Wildbahn auf weitläufigen Flächen mit ihrem Harem alleine leben, wurden Meerschweinchen als Haustiere häufig in größeren Gruppen, auch mit mehreren Männchen pro Gruppe gehalten. Dies führte unter den Männchen zu wesentlich stärkerer Konkurrenz. Während sich der wildlebende Schweinchenbock seiner Alleinherrschaft recht sicher sein kann und sich somit nicht allzu sehr um seine Weibchen bemühen muss, muss ein Hausmeerschweinchen-Mann deutlich mehr Eindruck schinden, um von den Mädels erwählt zu werden. Verhaltensbiologen haben festgestellt, dass die Brommselrate von männlichen Hausmeerschweinchen mit 25 Brommslern pro Stunde gut 16 mal höher ist als bei männlichen Wildmeerschweinchen (1,5 Brommsler pro Stunde). Vergleichbar ist dies vielleicht mit dem menschlichen Phänomen, dass sich Junggesellen noch die Brusthaare rasieren und sich in Schale werfen, um bei der Damenwelt Eindruck zu schinden, während der verheiratete Mann sich seiner Frau so sicher ist, dass er sich ihr zuliebe nicht mal mehr aus Jogginghose und ausgetretenen Turnschuhen herausbequemt. Auch das Werbeverhalten der Menschen (in den Mantel helfen, Blumen schenken, Komplimente machen) lässt ja um so mehr nach, je sicherer man sich seines Partners ist.

Man könnte in diesem Zusammenhang auch von einer „Emanzipation der weiblichen Hausmeerschweinchen“ sprechen. Seitdem sie die Möglichkeit haben, bei Nicht-Gefallen oder fehlendem Werbeverhalten zu einem anderen Männchen zu wechseln, legen sich die Böckchen deutlich mehr ins Zeug.

Meerschweinchen Andi beschützt Meerschweinchen Conny

Betrachtet man die Unterschiede von Wild- und Hausmeerschweinchen, so erscheint es einem sinnvoll, die wilden Schweinchen lieber in ihrer natürlichen Umgebung zu lassen und sich als Haustier an die domestizierten Schweinchen zu halten. Sie haben sich an das Leben beim Menschen angepasst und kommen in einer europäischen Drei-Zimmer-Wohnung besser zurecht als wilde Meerschweinchen.

Aber auch sonst sprechen einige Dinge für die gezähmten Schweinchen: Sie geben uns viel häufiger die Möglichkeit, ihnen beim Brommseln zuzusehen (und das ist einfach nur goldig), sie lassen sich aufgrund ihrer auffälligen Optik leichter im Wohnzimmer wiederfinden, wenn sie mal ausbüchsen und reagieren weniger gestresst, wenn mal ein Western im Fernsehen läuft oder neben dem Schweinegehege plötzlich der Staubsauger losdröhnt.

Wildmeerschweinchen schaut lieb in die Kamera

Quellenangabe: Moser, S (2005). Domestikation vom Wildmeerschweinchen (Cavia aperea) zum Hausmeerschweinchen (Cavia aperea f. porcellus)

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