Grundstein
August 2011
Wie alt werden Meerschweinchen und wie werden Meerschweinchen alt?
Meerschweinchen werden ungefähr genau so alt wie Menschen. Allerdings sind sie ja eine ganze Ecke kleiner und haben keinen Kalender. Daher werden Sie nach unserem Zeitempfinden nur ungefähr ein Zehntel so alt, wobei die diversen Lebensabschnitte den unseren doch recht ähnlich sind. Möchte man also wissen, wie alt ein Meerschweinchen grob in Menschenjahren ist, muss man das Alter des Meerschweinchens nur mit 10 multiplizieren.
Hier ein Beispiel:
Ein 2 (x 10 = 20) Jahre altes Meerschweinchen ist also gerade aus der Ausbildung raus und sucht nach einem Job (außer es möchte noch Wirtschaftsinformatik oder Neuropsychologie studieren). Es denkt, es ist das größte Meerschweinchen auf der Welt, stopft sich auch gerne mit ungesunden Dingen den Magen voll und hat immer Bock auf Party. Auch gerne mit Bock. Es steht zwar voll im Saft (nicht nur wenn das Einstreu nicht gut saugt oder ein Chilene seinen Römertopf erhitzt) aber es hat noch einen erheblichen Mangel an Weisheit.
Randvoll mit Übermut wird dem ganzen Umfeld mitgeteilt, dass man eigentlich schon immer das Chef- und Bestimmerschwein war, aber die letzten Jahre einfach noch keine Lust hatte das kundzutun. Außerdem haben die anderen eh keine Ahnung…
Aber beginnen wir doch ganz am Anfang und begleiten ein kleines fiktives Schweinchen durch sein Schweineleben.
0 bis 70 Tage
Vom Quark im Schaufenster zum Minischweinchen / Mittendrin statt nur dabei
Meerschweinchen werden von einer Meerschweinchenmutti geboren. Zumindest haben wir noch nichts Gegenteiliges gehört. Außer von Ilani, die sich sicher ist, aus einem Ei geschlüpft zu sein. Obwohl viele Zweibeiner behaupten, dass Meerschweinchen aus der Zoohandlung kommen. Genauso wie die Milch aus dem Supermarkt und die Pommes aus der Friteuse…
Wird ein Meerschweinchen geboren, ist es ca. 70 Tage alt. Diese 70 Tage hat es im Mutterleib verbracht und wahrscheinlich die kuriosesten Dinge in seinem ganzen Leben angestellt (rückblickend auf ein komplettes Schweineleben).
Es ist durch die Gegend geschwommen, hat sich, meist mit ein paar Kollegen, ein nettes Plätzchen (Nein, keinen Keks!) in Muttis Bauch gesucht und dort häuslich eingerichtet. Während dieser Zeit hat sich das Mini-Ötti hauptsächlich mit Wachsen beschäftigt.
Das muss ganz schön anstrengend sein. ALLES muss wachsen, Birnenkörper, Stopfdarm, Schnüffelnase, Flauschefell, Knopfaugen, Gummizitzen, Lederschlappohren, Milchzähne,… Um die 70 Gramm sollte man schon auf die Waage bringen, um später draußen gut durchstarten zu können. Und das alles in grob 70 Tagen, also jeden Tag ein ganzes Gramm! Puh, hoffentlich schaffen wir das alles…
Nach grob 50 Tagen kommt der erste herbe Rückschlag. Die fleißig ausgebildeten Milchzähne sind weg! Aaaahh! Wo sind die denn hin? Wieder zu Milch geworden? Besteht lactosefreie Milch etwa aus Babymeerschweinchenzähnen? Egal, schnell wieder Neue wachsen lassen. Und diesmal bleiben sie drin!
71 bis 100 Tage
1. Purzeltagsfeier mit Mutterkuchen ohne Kerzen
Meerschweinchen werden mit offenen Augen geboren und sehen vermutlich das Licht am Ende des Tunnels schon am Anfang ihres Lebens. Mit schmierigen Fell und einer Ladung Plazenta und sowas wie ne Eierschale am Rücken sieht man nicht wirklich cool aus. Wie peinlich. Aber da man ja schon sehen kann, stellt man schnell fest, dass die anderen ehemaligen Mitbewohner der Muttibauch-WG auch nicht viel besser aussehen. Ist man erst einmal die ersten Schritte gegangen, hat ein einigermaßen nettes Umfeld und die Mutti in der Nähe, geht es einem gar nicht so übel. Man fühlt sich wie neugeboren.
Jetzt geht’s los – Heu, Möhre? Ich komme!
Schnell einen Schluck Muttermilch und ab ans Heu. Auch die Möhre riecht interessant. Mal probieren… Bei kleinen Meerschweinchen geht es schon früh los denn man muss schnell fit werden, um im harten Schweinealltag zu bestehen. Feste Nahrung kann man dank der guten Zähne schon sofort zu sich nehmen. Gut, dass die weichen Milchzähne weggeflossen sind und Platz für die neuen Top-Beißer gemacht haben. Und was man essen darf und wie man sich als Meerschweinchen verhält, dass schaut man sich von den älteren Meerschweinchen in der Gruppe ab.
Die Welt ist (hoffentlich) groß, das Schwein ist klein
In der neuen Umgebung wird schnell festgestellt, dass man außer Möhrenschnipseln, Einstreu und Dillstsängel so ziemlich das kleinste Ding auf der Welt ist. Also wieder wachsen. Hört das denn nie auf? In Muttis Bauch sind die Mini-Öttis noch recht gleichmäßig rundherum gewachsen. In der Außenwelt bekommen sie irgendwie kein richtiges Maß hin. Ein paar Wochen und Monate wird sich gestreckt. Ein bisschen zu wurstig geraten? Also schnell wieder in die Breite gehen. Aber man will ja nicht breiter als lang werden. Also flux wieder strecken… u.s.w. Hauptsache irgendwie eine ordentliche Birnenform hinbekommen.
101 Tage bis 2 Jahre
Die Leiden des jungen Öttis
Nach gut 2 Jahren hat man nicht unbedingt das richtige Maß fürs Wachsen gefunden, aber inzwischen ist man so groß und genervt, dass man die jetzige Größe und Form hinnimmt und einfach so bleibt. Mit 2 Jahren hat man auch alles gelernt, was für Meerschweinchen wissenswert ist, um gut zurecht zu kommen. Das muss man natürlich kundtun und handelt sich das eine oder andere Mal mächtig Ärger bei der Chefetage ein. Aber mit etwas Glück wird der Einsatz belohnt und man bekommt einen guten, zufriedenstellenden Posten in der Schweinegruppenhierarchie.
In jungen Jahren strotzt man nur so vor Übermut und Energie und sehnt sich jeden Tag nach neuen Abenteuern: Heusocken wollen überwältigt, Eierkartonschatztruhen geknackt und Tunnel gerockt werden. Kein noch so entfernter Winkel im Schweinezimmer ist sicher vor der neugierigen Schweinenase und alles wird regelmäßig genauestens unter die Lupe genommen. Die Welt ist groß und es gibt doch so viel zu entdecken!
2 bis 5 Jahre
So schön wie heute so wird’s nie wieder
Geistig topfit und körperlich robust. So könnte es für immer weitergehen. Mit den richtigen Rahmenbedingungen kann man ein wunderbares Schweineleben leben.
In einer schönen Schweinegruppe kann man täglich den wichtigen Dingen des Schweinealltags nachgehen: Schnüffeln, schnobbern, wühlen, herumspeckern, Meinungsverschiedenheiten austragen, sich vertragen, gemeinsam Heu mümmeln, sich gemeinsam zum Schlummern ins Einstreu kuscheln und vieles mehr.
Man ist mitten im Schweineleben angekommen, kann sich über die dreisten Jungspunde aufregen und den ganz Kleinen ein gutes Vorbild sein.
ab 5 Jahre
Man möchte mehr als man kann
Ältere Meerschweinchen sind nicht mehr ganz so aktiv, wie in jungen Jahren. Das Treiben aus der Hängematte heraus beobachten und dabei an die gute alte Zeit denken, in der man noch selber in Regale geklettert ist, versucht hat, Dekopflanzen anzunagen und beim Futterbetteln der Erste sein musste. Auch das direkte, körperliche Umwerben der Damenwelt lässt bei älteren Böcken mit der Zeit nach. Oft werden weniger anstrengende Alternativen gesucht, wie z.B. diese Kontaktanzeige hier:
Rüstiger Rentner mit leichten Wehwehchen sucht junge Zweibeinakademikerin, die Spaß am Bespaßen und gelegentlichen Arztbesuchen hat. Gerne auch mit finanziellen Interessen. NR, kein GV dafür gerne mit extra Gurkenstück.
Die ganz große Abenteuerlust lässt im gehobenen Alter ein wenig nach, stattdessen benimmt man sich eher seniorentypisch: Es werden zusätzliche kleine Mittagsschläfchen eingelegt, die gerne auch mal ein bisschen länger dauern dürfen. Die Essensrationen fallen nicht mehr ganz so riesig aus (Stichwort Seniorenteller), Fahrradfalschparker werden bei der Polizei angezeigt und viele Meerschweinchen werden im Alter tendenziell ein bisschen leichter. Dafür haben die Senioren natürlich eine besonders gewichtige Meinung! Gemäß dem Motto „Der Klügere gibt nach“ tritt das eine oder andere ältere Meerschweinchen seine Führungsrolle schon mal an einen jüngeren Kollegen ab. Schließlich geht die Chefrolle nicht nur mit Annehmlichkeiten einher, sondern auch mit einer Menge Pflichten (Streit schlichten, unbekanntes Gelände auskundschaften, Untergebenen einen auf die Zwölf geben,…), die im gehobenen Alter manchmal ein bisschen anstrengend werden.
Ende gut, alles gut?
Nachdem wir einen kleinen Überblick über ein Schweineleben gewonnen haben, kommen wir wieder zu der eingangs erwähnten x10-Rechnerei. 5=50, 6=60, 7=70, 8=80… Meerschweinchen können alt werden. Zumindest in ihrer Zeitrechnung. Aber genau wie bei uns Menschen stellen sich im Alter immer öfter kleinere Wehwehchen ein. Die Knochen, die Muskeln und die Organe werden mit der Zeit schwächer und irgendwann versagen lebenswichtige Funktionen. Hinzu kommt noch, dass Meerschweinchen nicht die medizinischen Möglichkeiten geboten werden, die uns Menschen angeboten werden. Regelmäßige Medikamenteneinnahme, künstliche Gelenke, Vorsorgeuntersuchungen, längere Krankenhausaufenthalte,…. Sicherlich gibt es auch rauchende Meerschweinchen mit holländischem Migrationshintergrund, die 10 (100) Jahre alt werden. Aber sie bleiben die Ausnahme.
Wie bei uns Menschen entwickeln sind auch die Lebensläufe von Meerschweinchen nicht alle gleich. Während manche (vermutlich genetisch bedingt) schon relativ früh von alterstypischen Wehwehchen geplagt werden und etwas ruhiger werden, sind andere bis ins hohe Alter fit und aktiv. Rüstige Rentner gibt es eben auch in der Ötti-Welt. Meerschweinchen sieht man ihr Alter nicht an. Selbst erfahrene Tierärzte oder Schweinehalter können das Alter eines unbekannten Meerschweinchens nur sehr grob schätzen. Feste körperliche Anzeichen für ein bestimmtes Lebensalter gibt es bei Meerschweinchen nicht.
Und wenn sie nicht gestorben sind...
Wir leben ein ganzes Meerschweinleben mit ihnen zusammen und begleiten alle wichtigen Lebensabschnitte eines Öttis.
Wir haben die Möglichkeit, diesen kleinen, liebenswerten Wesen ein ganzes Leben zu gestalten.
Von der Geburt bis zum Tod.
Was für ein Leben wollen wir ihnen bieten?
Langeweile alleine in einem Schuhkarton mit Küchenabfällen, oder ein abwechslungsreiches Leben mit viel Platz, Artgenossen und einer kleinen, spannenden und entspannenden Schweinewelt?
Sicherlich können wir nicht immer alle Episoden eines Meerschweinlebens beeinflussen (z.B. stressfreies Aufwachsen im Bauch einer gesunden Mutti). Aber in den Lebensabschnitten, in denen die kleinen Fellwusel bei UNS wohnen, haben wir die Möglichkeiten, ihnen ein ordentliches Leben zu bieten.
Alte Sau oder junger Hüpfer?