Die etwas andere Meerschweinchenseite
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Grundstein
Grundstein
Juni 2011

Struktur
Einrichtung eines Meerschweinchen-Geheges

Entspannte Atmosphäre dank ausgefeilter Innenarchitektur - und ganz ohne Feng Shui! Ein Gehege mit ausreichender Bodenfläche ist eine Grundvoraussetzung für ein schweinegerechtes Leben. Zu wenig Platz zum Leben, Spielen und Rumwuseln bedeuten für Meerschweinchen Stress und somit geringe Lebensqualität. Meerschweinchen sind keine Kuscheltiere - weder dem Menschen gegenüber, noch den eigenen Artgenossen. Auch wenn sie sehr gesellige Gruppentiere sind, halten Meerschweinchen in den allermeisten Fällen doch einen "Sicherheitsabstand" zu ihren Kollegen. Wie wir Menschen auch, haben Meerschweinchen eine Privatszone, in der sie Artgenossen nur unter speziellen Umständen dulden.

Die Mutter lässt ihre Jungen zum Trinken unter dem Bauch herumkrabbeln, Frischverliebte kommen sich naturgemäß auch schon mal näher (auch wenn diese Körperkontakte bei Meerschweinchen meist nur einige Sekunden dauern) und ängstliche Meerschweinchen pressen sich schutzsuchend aneinander. Ansonsten ist freiwilliger Körperkontakt unter Meerschweinchen eher die Ausnahme.
Die persönliche Privatszone ist je nach Schweinecharakter unterschiedlich groß. Manche dulden einen Schweinekollegen mit nur 10cm Abstand neben sich an der Heuraufe; andere empfinden dies schon als aufdringlich und vergrößern den Schweineabstand entweder, indem sie selbst das Weite suchen, oder dem anderen einen deutlichen Hinweis geben, besser nicht so dicht auf die Pelle zu rücken - je nach Rangposition der beiden Schweine zueinander.

Dies ist im Grunde nicht anders, als bei uns Menschen auch. Manch einer bleibt auch in der gefüllten U-Bahn recht gelassen, bei anderen steigt schon der Hormonspiegel, wenn der Typ hinter einem an der Kasse zu dicht in den Nacken atmet. Dem Typen an der Kasse kann man noch entgegenmotzen, dass er gefälligst mitsamt seinem Mundgeruch an eine andere Kasse verschwinden soll. Ist es einem dagegen in der Kantine unangenehm, dass der Chef so dicht neben einen rückt, wird man eher so unauffällig wie möglich mit dem Stuhl Zentimeter für Zentimeter in die entgegengesetzte Richtung ruckeln.
Für Meerschweinchen ist es sehr wichtig, dass sie ihren Abstand zu den Artgenossen selbst bestimmen können. Dies ist notwendig, um ihrem Sozialverhalten entsprechend reagieren zu können. Dafür braucht es grundsätzlich erst einmal genügend Platz. Doch auch die Einrichtung des Geheges ist sehr wichtig, um ein funktionierendes Gruppenleben zu ermöglichen.

Privatzonen für Meerschweinchen

Ninja (Pfeil) ist eine sehr aufdringliche Dame und ignoriert die Privatzone anderer Personen. Kurz nach dem Bild wurde Conny weggedrängt und Ninja nahm ihren Platz ein. Frieda ist etwas schlauer. Sie befindet sich zwar in der Privatzone von Conny, aber über ihr und außerhalb des Blickfeldes.


Um die Ecke gedacht

Gehege, die um die Ecke gebaut sind, geben Meerschweinchen die Möglichkeit, auch mal aus dem Sichtfeld eines Rivalen zu verschwinden. Haben Schweine sich gerade gezofft, wird erwartet, dass das unterlegene Schwein sich dünne macht. Sitzt es immer noch in Sichtweite des Siegers, könnte dies für ein Alphaschwein schon wie eine Provokation wirken und erneuten Zoff heraufbeschwören. Ein ähnliches Problem ergibt sich auch bei Sackgassen im Schweinegehege. Kleine Etagen, die nur über einen Zugangsweg zu erreichen sind oder enge Ecken, die von einem dicken Schweineboss komplett abgesperrt werden können, stellen für unterlegene Schweine eine extreme Stressfalle dar. Auch wenn das rangniedere Schweinchen den Platz für den Chef freimachen möchte, muss es erst mal auf den Chef zugehen, um aus der Sackgasse herauszukommen, und muss ihn beim Flüchten vielleicht sogar berühren. Solche Frechheiten lassen sich echte Schweinebosse allerdings nicht bieten und werden dem Kollegen mit Sicherheit noch gehörig einen auf die Nuss geben - auch wenn das arme Schweinchen gar keine andere Chance hatte. In der Hinsicht können Bossschweine manchmal ziemlich ungerecht sein...

Meerschweinchen Eigenbau mit Ecke

In die Enge getrieben

Manchmal ergeben sich im Schweinegehege Engstellen, an die man beim Bau des Geheges noch gar nicht gedacht hat. Hinterher ist man ja bekanntlich immer schlauer. So wissen wir mittlerweile, dass unsere Etagen im Schweineheim mit 50 cm viel zu eng sind. Zwar können zwei Schweine auf dieser Tiefe locker aneinander vorbei kommen, allerdings hatten wir nicht die Engstellen neben den Aufgangslöchern bedacht. Dort bleiben gerade mal 35cm - und dies ist für zwei konkurrierende Schweine schon zu eng, um stressfrei zu passieren. Entschärfen kann man solche Engstellen mit einem Tunnel, der zwei "voneinander getrennte" Passagen der Engstelle ermöglicht. Taucht eins der Schweine in den Tunnel ab, ist es für das andere Schwein für einen kurzen Moment aus dem Sichtfeld und dieses kann stressfrei neben dem Tunnel herlaufen. Dieser kleine Trick ist nicht gerade ein Beleg für die Weitsicht von Meerschweinchen, aber eine einfache Möglichkeit, ihr Prinzip "Aus den Augen, aus dem Sinn" einmal sinnvoll zu nutzen. Zwei - zugegebenermaßen noch engere - Durchgänge an einer Stelle, die optisch voneinander getrennt sind, sind besser als ein enger Durchgang, weil weder Körperkontakt noch Sichtkontakt auf dem engen Raum besteht.

Engstelle im Meerschweinchengehege

Obwohl die gezeigte Stelle im Schweineheim zu eng ist um zwei Meerschweinchen-Egos nebeneinander durchzulassen, sorgt der Holztunnel für ein entspanntes Vorbeilaufen.


Mehr Auswahl

Um ein Gehege für Meerschweinchen möglichst interessant zu gestalten, sollte es mehrere Bereiche enthalten: Stellen zum Schlafen, zum Wühlen, zum Laufen, zum Verstecken, zum Fressen...
Am besten sind diese Stellen in einem Meerschweinchengehege mehrfach enthalten, sodass nicht nur das ranghöchste Tier seinen Bedürfnissen nachkommen kann, bzw ständig Streit um die beliebtestens Plätze aufkommt. So sollten bereits ab einer Gruppe von drei Tieren mehrere Heuraufen angeboten werden, sodass jedes Tier jederzeit die Möglichkeit hat, in Ruhe Heu zu fressen. Frischfutter sollte ebenfalls verteilt angeboten werden, sodass rangniedere Tiere nicht abwarten müssen, bis die anderen satt sind und nur noch die Reste bekommen. Auch geschützte Schlafplätze müssen in ausreichender Zahl angeboten werden. Möglichst sollte jedes Tier die Chance haben, sich in einen geschützten Bereich zurückzuziehen - auch dann, wenn alle anderen auch gerade schlummern wollen. Dabei gibt es für Meerschweinchen unterschiedliche Qualitäten von Schutzbereichen. Besonders beliebt sind solche, die etwas dämmerig, besonders niedrig und von mehreren Seiten geschützt sind. Idealerweise gibt es mehrere solcher "Schlafplätze erster Klasse", denn sonst ist abzusehen, dass insbesondere die rangniederen Schweinegruppenmitglieder sich häufig mit Schlafplätzen zweiter Klasse zufriedengeben müssen - und wer will schon eine Zweiklassen-Schweinegesellschaft?

Hau Auswahl im Meerschweinchen Gehege

Die blau markierten "Heutankstellen" bieten Ausweichmöglichkeiten für Öttis, die keinen Platz an einer stark frequentierten Heuraufe bekommen haben.


Schnell weg? Aber sicher!

Viele Schweinehalter wollen ihren Schweinchen Abwechslung bieten und stellen die Inneneinrichtung eines Geheges regelmäßig um. Man kann dann beobachten, wie die Schweine neugierig alles erkunden und offensichtlich ganz interessiert sind. Sicher ist ein bisschen Abwechslung für den Schweinegrips nicht verkehrt. Allerdings ist dabei zu beachten, dass Meerschweinchen Fluchttiere sind, die ihre sicheren Zufluchtsorte brauchen. Gibt es einmal ein plötzliches Geräusch, rennen Meerschweinchen instinktiv sofort in ihren Zufluchtsort - schlecht nur, wenn der regelmäßig den Ort wechselt. Im "Gefahrenfall" (und auch eine zugeknallte Tür wird erst mal als solche eingestuft) haben Meerschweinchen keine Zeit zum Denken, sondern sind auf ihren Fluchtreflex angewiesen. Wenn dieser nicht funktioniert und ein Meerschweinchen im Schreckmoment feststellen muss, dass dort, wo gestern noch das Versteck war, jetzt gähnende Leere ist, löst dieses extremen Stress aus. Daher sollten feste "Fluchtpunkte" im Schweinegehege ihren angestammten Platz haben und nicht regelmäßig verlegt werden. Lose Unterschlüpfe, die dagegen gelegentlich den Platz wechseln, stellen für Meerschweinchen kein Problem dar.

Sicherer Unterschlupf im Meerschweinchengehege

Die Holz- und Korkröhren im Vordergrund, können zu Spielzwecken immer wieder verschoben werden. Kurzzeitig ist das für die Schweinchen zwar interessant, aber dauerhafte Sicherheit bietet nur der feste, blau markierte, Unterschlupf.


Eine runde Sache

Abwechslung lässt sich auch mittels eines "Rundgangs" in ein Schweineheim bringen. Gehege mit großen Etagen (also nicht nur bloßen Unterständen auf Beinen) ermöglichen es, auf einer Seite eine Etage zu verlassen und an anderer Stelle auf diese Etage zurückzukehren. So können sich einzelne Schweine auch mal ein bisschen von der restlichen Gruppe absetzen und etwas auf eigene Pfote erledigen. Auch wenn Schweine in ihrem Gehege nicht einfach so eine Tür hinter sich zumachen können, wenn sie ihre Ruhe haben wollen, ermöglicht ihnen solch ein Rundgang zumindest den Eindruck, nicht ununterbrochen mit der selben Sippe in einem Gehege zu sitzen. Dem typischen "Lagerkoller", der bei Gruppen auf engem Raum schon mal aufkommen kann, wird so entgegengewirkt. Ist ein größerer Rundlauf nicht möglich, können immerhin einige kleine Ebenen, die ins Gehege gestellt werden, etwas Abwechslung bieten und gleichzeitig einen sicheren Zufluchtsort darunter bieten.

Rundlauf im Meerschweinchengehege

Ein solcher Rundlauf macht aus beschränkten Platzverhältnissen eine interessante und abwechslungsreiche Wegstrecke.


Drumherum und hinterher

Die Einrichtung eines Schweineheims wird häufig ähnlich vorgenommen, wie die Einrichtung des Zweibeiner-Wohnzimmers: Alle Möbel werden außen entlang der Wände gestellt, sodass möglichst viel Platz in der Mitte vom Raum übrig bleibt.

Meerschweinchen legen aber gar nicht besonders viel Wert auf eine große freie Fläche in der Mitte. Meerschweinchen scheinen eher Agoraphobiker zu sein, die große, freie Flächen meiden. Sie mögen vielmehr eine Vielzahl an Gängen, Wegen, Schlupflöchern und Ausweichmöglichkeiten. Daher ist es sinnvoll, Hütten, Tunnel, Unterstände und ähnliches im Meerschweinchengehege nicht an die Außenseiten zu stellen, sondern sie mit einem kleinen Abstand von den Außenwänden zu platzieren. Ist hinter einem Häuschen ein Spalt von ca. 10 cm Breite, so nutzen die Schweinchen diesen gerne als schnelle Abkürzung, Schlupfloch oder einfach als nette Abwechslung vom ewigen Drumherumgehen.

Warum nicht mal hinter dem Häuschen langdüsen? Kleine Geheimgänge hinter den Hütten sorgen für eine vielfältigere Gehegestruktur und haben sogar den zusätzlichen Vorteil, dass die Gehegewände nicht so intensiv mit feuchter Einstreu in Kontakt kommen. Schließlich wird die Einstreu unter Häuschen am stärksten befeuchtet. In den Gängen hinter den Häuschen wird dagegen nur mal flott eine Bohne fallengelassen. So bleibt die Einstreu direkt an den Gehegewänden etwas trockener, wenn die Hütten mit etwas Abstand dazu gestellt werden.

Meerschweinchen Flummi flitzt hinter dem Haus lang

Wenn es aus Platzgründen nicht möglich ist, die Behausungen mit einer Handbreit Abstand von den Gehegewänden aufzustellen, ist dies übrigens ein deutlicher Hinweis darauf, dass das Gehege zu klein ist.


Fazit

Eine genügend große Fläche ist und bleibt die wichtigste Voraussetzung für eine artgerechtes Schweinegehege, doch mit ein bisschen schweinegerechter Struktur lässt sich die vorhandene Fläche optimal nutzen. Eine große leere Fläche allein bietet für Meerschweinchen noch keine hohe Wohnqualität. In regelmäßigen Abständen müssen Unterschlüpfe verfügbar sein, die im Gefahrenfall (auf den sich Meerschweinchen grundsätzlich zu jeder Zeit einstellen) eine Versteckmöglichkeit bieten. Große freie Flächen, die von den Schweinen gemieden werden, werden häufig plötzlich sehr intensiv genutzt, wenn in ausreichenden Abständen ein Dach über dem Kopf angeboten wird - nur für den Notfall, versteht sich.

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