Zahnbruch
Meerschweinchen müssen immer vernünftig essen können, da ihre Verdauung immer Nachschub braucht. Ohne ständige Nahrungszufuhr
kann ein Meerschweinchen nicht Meerschweinchen sein und kann ziemlich schnell „Hopps“ gehen. Wenn man es genau nimmt, ist ein Meerschweinchen eigentlich nur ein Stopfdarm mit Fell Drumherum. Und mit Kugelaugen. Und mit Lederschlappohren. Und mit Schnobbernase. Und mit…
Zurück zum Thema: Ein abgebrochener Zahn kann bei Meerschweinchen sehr gefährlich werden, da die kleinen Felldinger die Zähne nicht nur zum Zerkleinern von Nahrung oder fürs Abnagen brauchen, sondern mit ihren Schneidezähnen ein Greifwerkzeug haben, um Futter zu greifen. Ohne Nagezähne können Meerschweinchen nur Smoothies mit Strohhalm trinken. Und das ist auf Dauer sehr ungesund.
Dass ein Zahnabbruch aber auch nicht unbedingt der Super-GAU ist, hat uns Fips beigebracht:
Ein Fips in der Küche
Als Fips ganz frisch bei den Schweinedamen eingezogen war, flogen trotz einer vorherigen großen Vergesellschaftung an den ersten Tagen noch so einige Fetzen. Die Rangordnung war noch längst nicht geklärt und Fips wollte nicht einsehen, dass sich die gesetzten Damen nicht von irgendeinem dahergelaufenen Jungspund mit zu großem Ego beeindrucken lassen würden. Fips hielt sich für den Allergrößten und führte sich auch genauso auf. Die alteingesessenen Damen waren irgendwann mächtig genervt und irgendeine (keine hat sich bislang öffentlich dazu bekannt…) hat Fips derart gescheucht, dass er aus dem Schweineheim herausgesprungen oder -gefallen ist und einen Meter tiefer auf dem Fußboden aufgekommen ist.
Wir fanden Fips an diesem Abend in der Küche unter unserer Eckbank sitzend wieder und untersuchten ihn erst einmal gründlich. Erleichtert stellten wir fest, dass er anscheinend keinen Schaden genommen hatte und nochmal mit einem Schrecken davongekommen war. Fips wurde wieder ins Schweineheim gesetzt und von den immerhin etwas zerknirscht dreinschauenden Schweinedamen wieder aufgenommen.
Bei der nächsten Fütterung stellten wir fest, dass Fips trotz sichtlichen Appetits einfach nichts fressen konnte. Er biss in Gemüsestückchen hinein, ließ sie dann aber unverrichteter Dinge wieder fallen. Also schnappten wir Fips noch einmal, schauten seine Zähne an und stellten erschrocken fest, dass nur noch unten welche zu finden waren. Die oberen Schneidezähne waren einfach verschwunden!
Wir packten Fips umgehend ein und fuhren mit ihm zur Tierärztin. Die konnte jedoch auch nur dasselbe feststellen wie wir: Oberzähne weg – bündig am Zahnfleisch abgebrochen. Wie wir schon befürchteten, hörten wir, dass man grundsätzlich nur warten könne, bis sie von alleine nachgewachsen waren – dass dies aber insgesamt bis zu drei Monate dauern könne!
Außerdem wurden wir zu einem weiteren Termin in vier Wochen einbestellt, um die unteren Schneidezähne abschleifen zu lassen, da diese schließlich auch immer weiter wuchsen und nun keinen Gegenspieler hatten, an denen sie sich abreiben konnten. Da Fips schon bei der normalen Zahnuntersuchung einen Riesenaufstand machte, war abzusehen, dass so ein Eingriff nur unter Sedierung möglich sein würde. Tolle Aussichten…
Futter ohne Zähne?
Glücklicherweise ließ sich Fips von den fehlenden Zähnen nicht sonderlich beeindrucken. Hunger hatte er trotzdem und er versuchte mit allen Mitteln, wenigstens weiches, blättriges Gemüse wie zum Beispiel Salat, Möhrengrün und ähnliches irgendwie selbständig zu fressen. Aber von weichem Grünzeug wird man nicht richtig satt und so ein kleiner Bock im Wachstum braucht schließlich jede Menge Energie!
Also wurde fortan jede Gemüsesorte zerkleinert. Wir machten Experimente mit Küchenreiben und Raspeln in allen erdenklichen Größen und Arten und verwandelten damit die Küche regelmäßig in ein Schlachtfeld. Aber weder Gemüsematsch, noch feine Raspel kamen bei Fips gut an. Am besten nahm er feine Gemüsestreifen auf, die wir mit dem Sparschäler schnitten. Nahezu jedes Gemüse wurde mit dem Sparschäler in feine Streifen von maximal 6 – 7 mm Breite gehobelt. Diese Streifen mussten wir Fips anfangs direkt zwischen die Lippen ins Mäulchen schieben, bis er sie mit den hinteren Backenzähnen greifen und nach und nach schmatzend einziehen konnte.
Diese Streifenfütterung aus der Hand nahm immer viel Zeit in Anspruch, weil Fips nach zwei Streifen erst mal wieder wegrennen und Conny am Hintern schnuppern, Frieda bebrommseln oder irgendwelche anderen Schweinedinge erledigen musste, bevor er endlich weiter frühstücken konnte. Der Hinweis, dass man so langsam wirklich dringend mal zur Arbeit fahren müsse, beeindruckte Fips dabei in keiner Weise.
Zum Glück hatte Fips ungebändigten Appetit und versuchte immer wieder, die Streifen auch selbständig vom Boden aufzunehmen. Es dauerte nur zwei Tage, dann hatte er eine Technik herausgefunden, mit der er die Streifen ohne Hilfe mampfen konnte. Dies war auch für uns eine große Erleichterung. Wir mussten nur noch die „Vorarbeit“ leisten und alles hobeln.
Allerdings stellte sich nach kurzer Zeit ein anderes Problem ein: Die bequemen Schweinedamen bekamen Wind von der Tatsache, dass es eine Möglichkeit gab, sich leckeres Gemüse reinzuziehen, ohne dafür die lästige Mühen des Abbeißens auf sich nehmen zu müssen. Schließlich hatte der Fips diese total köstlichen Gemüsestreifen, die man ihm problemlos zu dritt wegschmatzen konnte. Gesagt getan – und schon waren sämtliche Gemüsestreifen verputzt. Fips saß ohne Futter da und die gefräßigen Mitbewohnerinnen konnten anschließend noch ganz genüsslich die anderen Gemüsestücke auffressen, die ihnen der gehandicapte Fips schließlich nicht wegfressen konnte. Na super. Also wurde fortan nicht nur die Gemüseration für Fips mit dem Sparschäler in Streifen gehobelt, sondern fast die gesamte Gemüseration für die ganze Schweinemeute. Schon war der morgendliche Zeitvorteil durch das selbständige Streifenfressen wieder dahin…
Woche 1
Nach einer knappen Woche sahen wir bei Fips schon erste Ansätze der neu nachgewachsenen Schneidezähne herausgucken und wir schöpften Hoffnung, dass die Zeit des Gemüsehobelns irgendwann ein Ende nehmen würde.
Fips nutzte seine neuen Zahnspitzen kräftig und knabberte eifrig an Häuschen und Ästen herum, wohl, um die noch frischen Zähne in die richtige Form zu schleifen. Und er gab die Hoffnung nicht auf und knabberte auch an Möhrenstückchen immer wieder herum und raspelte sich mit viel Mühe immerhin kleine Raspel von hartem Gemüse ab.
Woche 2 bis 3
Nach gut zweieinhalb Wochen stetigen Streifenraspelns stellten wir abends plötzlich fest, dass Fips seinen Gemüsestreifen links liegen ließ und stattdessen genüsslich Stücke aus einer Möhre herausbiss und wegschmatzte.
Ein Blick ins Mäulchen zeigte das, was wir nie zu hoffen gewagt hätten: Fips Zähne waren schon so weit nachgewachsen, dass er damit wieder selbständig auch hartes Gemüse fressen konnte! Seine Mitbewohnerinnen waren bestimmt ein bisschen traurig, dass ab sofort das dekadente Leben mit vorgeraspeltem Gemüse vorbei sein würde. Aber wir waren umso glücklicher, dass das Gemüsehobeln so unerwartet früh vorüber war und Fips wieder problemlos alles fressen konnte.
Woche 4
Vier Wochen nach dem Zahnabbruch fuhren wir mit Fips erneut zur Tierärztin, um die unteren Schneidezähne abschleifen zu lassen. Doch die Ärztin konnte nur feststellen, dass Fips Zähne im allerbesten Zustand waren und keine Korrektur nötig war.
Wir haben uns einen Ast abgefreut. Fips war einfach nur froh, direkt wieder nach Hause fahren zu dürfen. Und wir haben gelernt, dass man bei hyperaktiven Schweinchen im Stall den Tunnel an einer möglichen Absturzstelle am Regalpfosten anbinden muss, um derartige Unfälle zukünftig zu vermeiden. Wir wollen ja nicht, dass der kleinen Weißwurst wieder was passiert.
Nicht die Flinte ins Korn werfen
Hat man also einmal einen Zahnabbruch, ist das noch lange kein Beinbruch. Mit Geduld, schnellem Handeln und etwas Mühe kann so eine Bruchlandung auch gut ausgehen. So ein Meerschweinchenschneidezahn wächst jede Woche zwischen 1 und 2 mm und die Öttis sind ja auch nicht ganz doof. Die finden mit etwas Hilfe schon einen Weg, ihren Magen zu füllen.
Wenn schon Zahn abbrechen, dann Löwenzahn!