Grundstein
Mai 2016
Meerschweinchen-Medikamente
Meerschweinchen sind in der Tiermedizin / Tierpharmazie ein vernachlässigter Geschäftsbereich. Vermutlich liegt das daran, dass sich mit Meerschweinchen in der Regel nicht besonders viel Geld verdienen lässt. Einige Tierarztbesucher mit Meerschweinchen haben nicht so viel Geld zur Verfügung, zum Beispiel wenn es sich um Kinder oder Jugendliche handelt, die die Tierarztbesuche vom Taschengeld abstottern müssen oder wenn arme irre Erwachsene nur wegen ihrer geistigen Umnachtung anstelle von "vernünftigen" Haustieren die typischen Kinderzimmertiere halten. Und dann gibt es noch die Sorte Tierarztbesucher, die für ein Meerschweinchen einfach nicht viel Geld ausgeben wollen, weil es diese ja für nen Appel und ein Ei an jeder Ecke nachgeworfen gibt. Da lohnts ja nicht, mehr als 15 Euro auszugeben. Neu ist billiger.
Dies ist vermutlich nur einer der Gründe, warum es in der Tiermedizin vergleichsweise wenig Forschung für Meerschweinchen gibt. Die meisten Medikamente auf dem Markt sind für andere Tierarten entwickelt worden. Medikamente, die speziell auf die Bedürfnisse und Probleme von Meerschweinchen abgestimmt sind, lassen sich an einer Pfote abzählen. Mit ein wenig Glück findet man noch Medikamente, die immerhin für die gesamte Gattung der "Nager" gedacht sind, oder noch besser für die wohldefinierte Gruppe der "Kleintiere". Damit ist dann so ziemlich alles gemeint, was unterhalb der menschlichen Kniehöhe herumkreucht. Egal, ob es sich um ein Meerschweinchen, ein Kaninchen, eine Wüstenrennmaus, einen Kanarienvogel oder eine Schildkröte handelt. Sozusagen eine Restkategorie von Tieren, für die es sich nicht lohnt, eigene Medikamente zu entwickeln. Daher haben die Öttis in ihrem Arzneischränkchen jede Menge Medikamente, die (auch) für Katzen, Waschbären, Kaninchen, Schildkröten oder Vögel gedacht sind. Muffi ist sehr stolz darauf, dass sie sogar schon mal ein Medikament genommen hat, das auch für Elefanten und Gorillas geeignet war.
Elefantenmedikamente haben Muffin geholfen - obwohl sie keinen Rüssel hat
Dosierung
Da die meisten Medikamente, die von Tierärzten für Meerschweinchen verordnet werden, für andere Tierarten entwickelt wurden, ist die Frage der Dosierung oft nicht so einfach zu klären. Hunde, Katzen, Pferde, Rinder und Co unterscheiden sich nicht nur in ihrer Wuchshöhe und im Gewicht wesentlich von Meerschweinchen, sondern weisen auch ansonsten grundlegende Unterschiede auf (Fleischfresser vs. Veganer, Raubtier vs. Opfertier, Euter vs. Mini-Gummizitzen, u.v.m.), sodass auch die Wirkung von Medikamenten grundlegend verschieden sein kann.
Werden Rinder-Medikamente für Meerschweinchen eingesetzt, ergibt sich das erste Problem schon bei der Dosierung. Während bei Kühen die Maßeinheit "Milliliter pro Zentner" noch sinnvoll erscheint, ist die Umrechnung auf eine 800 g- Schweinedame schon problematisch. Außerdem werden Medikamente von Meerschweinchen häufig ganz anders verdaut, vertragen und abgebaut als von anderen Tierarten. So muss zum Beispiel ein häufig verwendetes Katzen-Schmerzmittel für Meerschweinchen viel höher dosiert werden, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Daher kommen dann Anwendungsempfehlungen zustande wie: "für ein 1100 g Meerschweinchen so viel Schmerzmittel verabreichen wie für eine zweieinhalb-Kilo-Katze". Ilani war sehr stolz, so viel Medizin zu bekommen, wie eine fette Katze.
Abmessung
Durch die ungünstigen Umrechnungsformeln der fremdartigen Medikamente kommt es für Meerschweinchen häufig zu irrwitzig kleinen Medikamentendosen, die sich kaum noch abmessen lassen. Wenn ein großer Hund 20 Tropfen bekommen soll - kein Problem. Wenn ein Meerschweinchen entsprechend aber anderthalb Tropfen braucht, ist dies schon schwieriger umzusetzen. Daher empfiehlt es sich, Medikamente für Meerschweinchen in Milliliter umzurechnen und mit einer kleinen Spritze mit einem Gesamtvolumen von einem Milliliter abzumessen. Damit sind auch Dosierungen im Bereich von 0,1 ml genau abmessbar.
Orale Verabreichung von Medikamenten
a) leckere Medikamente
Schmackhafte Medikamente bereiten in der Regel die geringsten Umstände. Sie werden von Meerschweinchen meist freiwillig aufgenommen. Besonders beliebt sind erfahrungsgemäß Medikamente mit einem hohen Zuckeranteil. Darauf sind einige Meerschweinchen so scharf, dass man die Medizin im gut verschlossenen Schränkchen aufbewahren muss, damit das Schwein nicht über Nacht heimlich die gesamte Ampulle leerschlürft. Zuckerhaltige Medikamente haben allerdings den Nachteil, dass sie auf Dauer ungünstige Auswirkungen auf das Verdauungssystem haben, da Meerschweinchen Zucker nicht gut vertragen.
b) geschmacksneutrale Medikamente
Medikamente ohne Eigengeschmack kann man Meerschweinchen über die Nahrung unterschmuggeln, indem man sie auf schmackhaftem Gemüse (z.B. auf einer Gurkenscheibe) anreicht. Dies ist auch für das Pflegepersonal relativ unproblematisch umsetzbar, allerdings muss dabei darauf geachtet werden, dass das betreffende Schwein auch wirklich die gesamte Dosis frisst und ihm das Futter samt Medizin nicht von einem Kollegen geklaut wird.
Alternativ kann geschmacksneutrale Medizin auch in kleine Mengen leckeren Päppelbrei hineingemischt werden, der von den meisten Meerschweinchen begeistert aufgeschleckt wird. Den Öttis schmeckt Herbi Care besonders gut und hat schon so manches Medikament unbemerkt ins Schwein befördert.
c) unschmatzige Medikamente
Der größte Teil der Medikamente auf dem Markt scheint zur Gruppe der unschmatzigen Medikamente zu gehören. Das heißt, sie treffen nicht die bevorzugten Geschmacksrichtungen von Meerschweinchen und werden daher verschmäht. Meerschweinchen haben feine Gourmetzungen und feine Nasen und können unschmatzige Medikamente bei Betrugsversuchen auf Gurkenscheiben und Co sehr sicher erkennen. In wenigen Fällen lassen sich unschmatzige Medikamente mit sehr geschmacks- und geruchsintensiven Oberschmatzigkeiten wie z.B. Basilikum ins Schwein hineinschmuggeln. In den meisten Fällen wird dem Pflegepersonal jedoch keine andere Wahl bleiben, als das Medikament auch gegen die Geschmackspräferenzen des bepelzten Vierbeins zu verabreichen.
Verabreichung mit der Spritze
Am einfachsten gelingt die orale Verabreichung von Medikamenten erfahrungsgemäß mit einer kleinen 1ml-Spritze ohne Nadel. Der erste Akt besteht darin, das Medikament überhaupt erst mal in die Spritze hineinzufriemeln. Flüssige Medikamente lassen sich meist am besten mit der Spritze direkt aus der Flasche aufsaugen. Manche Medikamentenflaschen haben praktischerweise eine passende Andockstelle, sodass das Medikament einfach aus der auf dem Kopf stehenden Flasche abgesaugt werden kann. Bei Flaschen mit einer Tropfvorrichtung muss diese zuvor entfernt werden, um mit der Spritze an den Inhalt zu gelangen.
Bei allen lose verpackten Medikamenten oder auch Pulvern, die mit Wasser angerührt werden, lassen sich die kleinen Mengen am einfachsten aus einem möglichst kleinen Behältnis wie z.B. einem Eierbecher (ohne Ei) oder einem Schnapsgläschen (ohne Schnaps) mit der Spritze aufsaugen.
Der zweite Akt besteht dann darin, den Inhalt der Spritze ins Schweinchen zu applizieren. Dafür schnappt man sich das Schwein und lässt es im Idealfall von einer zweiten Person festhalten. So kann sich der Medikamentenverabreicher voll auf die Medikamentengabe konzentrieren. Muss man diesen Akt alleine ohne Hilfe bewältigen, setzt man sich das Schwein auf den Schoß oder in eine Box, aus der es nicht so leicht flüchten kann.
Da Meerschweinchen die Aufnahme von unschmatzigen Medikamenten recht erfolgreich zu verhindern wissen und bei längerer Behandlungsdauer immer erfindungsreichere Abwehrmethoden erdenken, sollte die ganze Angelegenheit möglichst flott über die Bühne gehen. Der Kopf des Meerschweinchens wird mit einer Hand von oben greifend fixiert. Mit der anderen Hand wird die Spritze schräg von der Seite hinter die Nagezähne in das Mäulchen eingeführt und abgedrückt. Auch wenn so eine Spritze neben einem Schweineköpfchen riesig aussieht, ist ein erwachsenes Meerschweinchen durchaus in der Lage, knapp einen Milliliter auf einmal aufzunehmen.
Die Spritze in dieser Position noch ca. einen Zentimeter ins Mäulchen einführen und vorsichtig abdrücken
Damit das Medikament nicht aus dem Schweinemäulchen herauslaufen oder mit der Dropszunge wieder nach draußen befördert werden kann, sollte die Spritze wenigstens einen Zentimeter weit in das Schweinemäulchen geschoben werden, bevor das Medikament eingegeben wird. Das Abdrücken der Spritze sollte natürlich mit etwas Feingefühl erfolgen, damit dem Schweinchen das Medikament nicht bis ans Zäpfchen spritzt. Das findet niemand angenehm. Außerdem ist es natürlich möglich, dass sich ein Schweinchen an einer zu großen Menge oder bei hektischen Spritzaktionen verschluckt. Daher sollte die Verabreichung mit der Spritze immer mit der nötigen Vorsicht und möglichst ruhig vonstatten gehen.
Muffi beißt auf die Spritze - und lässt sich Päppelbrei schmecken...
Tabletten
Kleine Tabletten können mit dem Päckchen-Trick ins Schweinchen hineinbefördert werden. Eine kleine Tablette wird in ein leckeres Kräuterblatt (z. B. Basilikum oder glattblättrige Petersilie) eingewickelt und das Päckchen möglichst in einem Haps in der Schweineschnute versenkt. Wenn die Tablette mit den Backenzähnen zerknubbert wird, ist sie meist schon zu weit hinten, als dass das Schwein sie noch ausspucken könnte.
Allerdings sind Meerschweinchen lernfähig und lassen sich meist nur wenige Male übers Schlappohr hauen. So werden sie schnell misstrauisch und ignorieren unter Umständen die nächsten Kräuterpäckchen, wenn ihnen die Tablette beim letzten mal nicht geschmeckt hat. Dann ist es meist die einfachste Variante, die Tablette zu feinem Pulver zu zermörsern (das kann auch zwischen zwei Löffeln klappen, wenn man keinen Mörser hat), in etwas Wasser aufzulösen und dann mit der Spritze aufzuziehen.
Pulver
Medikamente in Pulverform können entweder auf bevorzugte, feuchte Gemüseteile aufgestreut werden (die dann aber vom betreffenden Schwein auch komplett aufgefuttert werden müssen) oder wie zermörserte Tabletten in Wasser aufgelöst und mit einer Spritze aufgezogen werden. Bei geschmacksneutralen Pulvern kann man auch eine Päppelbrei-Pulvermischung anbieten, die mit etwas Glück freiwillig gefressen wird.
Cremes / Salben
Bei verschiedenen Hautproblemen oder Wunden müssen bei Meerschweinchen gelegentlich Salben aufgetragen werden. Da der Wirkstoff der Salbe in der Regel auf die Haut des Meerschweinchens aufgetragen werden soll und nicht auf das Fell, ist es wichtig darauf zu achten, dass die Creme auch genau dort ankommt. Bei dem dichten Pelzkleid von Meerschweinchen ist dies gar nicht so einfach. Eine Möglichkeit ist, das Fell sorgfältig zu scheiteln und die Creme auf den kleinen Spalt freiwerdender Meerschweinchenhaut aufzutragen. In den meisten Fällen reicht dies jedoch nicht aus. Dann ist es sinnvoll, das Fell an der betreffenden Stelle etwas zu kürzen bzw. kurz zu rasieren. Dies kann entweder vorsichtig mit einer Schere oder einem Elektrohaarschneider erledigt werden.
Fips möchte sich nicht für Fotozwecke rasieren lassen und zeigt daher die Scheitelmethode
Insbesondere bei Pilzerkrankungen ist es wichtig, dass die Creme nicht nur auf die betroffene Stelle selbst aufgetragen wird, sondern auch in einem kleinen Ring drumherum. Nur so lässt sich die weitere Ausbreitung der Pilzinfektion stoppen.
Damit keine Keime in Cremetuben hineingelangen, sollte die Creme mit einem sauberen Wattestäbchen entnommen werden. Damit kann die Creme dann auch gleich aufs Meerschweinchen getupft werden, ohne die Hände mit Creme einzumatschen. Vor allem bei der Behandlung von Wunden ist die hygienische Verwendung von Cremes besonders wichtig.
Übung macht den Meister
Vor allem für unerfahrenes Meerschweinchen-Pflegepersonal ist die Verabreichung von Medikamenten an die wuseligen und oft auch wehrhaften Minischweinchen eine stressige Angelegenheit - und für das erkrankte Meerschweinchen erst recht. Aber Medikamente sind manchmal einfach notwendig und dann müssen alle Beteiligten da durch. Wer sich nicht sicher ist, wie er ein Medikament ins Schwein hineinbekommen soll, sollte unbedingt den behandelnden Tierarzt fragen und sich die Verabreichung einmal in Ruhe zeigen lassen. Am besten nimmt man immer etwas mehr Medikamente nach Hause mit, als benötigt werden, denn vor allem am Anfang geht so manche Portion daneben und man braucht eine Ersatzdosis. Dabei ist es dann wichtig, den Überblick zu behalten, wieviel Medizin bereits im Schwein gelandet ist, um auch genau die Dosis zu verabreichen, die verordnet wurde.
Wenn sich das Krankschwein mit allen zur Verfügung stehenden Pfoten gegen das Medikament zur Wehr setzt, kann das Zweibein schon mal an den Rand der Verzweiflung getrieben werden. Daher hier drei hoffnungspendende Gedanken:
- Das Schweinchen wird irgendwann merken, dass die Medikamentengabe nicht sooo bedrohlich ist und sich irgendwann ein wenig daran gewöhnen und hoffentlich ruhiger werden.
- Das Zweibein gewinnt an Erfahrung und Übung und wird so bei der Medikamentengabe nach und nach immer sicherer.
- Ein Schweinchen, das sich kräftig gegen Medikamente wehrt, ist immerhin gesund genug, seinen Willen (bzw. Unwillen) zu zeigen - und das ist eigentlich ein gutes Zeichen.
Lachen ist die beste Medizin!