Sexualität - Ein gern verschwiegenes Thema
Auch wenn man es nicht glauben kann oder möchte: Auch Meerschweinchen sind sexuelle Wesen. Obwohl einige aussehen wie kleine Hummeln oder Bienen und viele Schweinchen von Blüten magisch angezogen werden (zwecks Aufmampfen), hat die Geschichte mit den Blumen und Bienen nichts mit Meerschweinchen zu tun. Meerschweinchenbabys wachsen nicht in Blütenknospen, werden nicht vom Storch gebracht und die meisten schlüpfen auch nicht aus Eiern (Ausnahmen bestätigen die Regel).
Vielen Wesen spricht man Sexualität vollkommen ab, weil man sich derartiges einfach nicht vorstellen kann oder will. Die eigenen Eltern, die eigenen Kinder, der verschwitzte Nachbar – diese Wesen haben einfach keine Sexualität. Redet man sich zumindest ein, um nicht diese furchtbaren Bilder im Kopf ertragen zu müssen. Auch den puscheligen, knopfäugigen Meerschweinchen wird Sexualität häufig komplett abgesprochen. Doch das ist falsch. Auch Meerschweinchen haben Sex, wollen Sex, haben Lust und Triebe.
Brünstigkeit bei Schweinedamen
Meerschweinchendamen haben einen Zyklus von etwa drei Wochen, d.h. sie sind theoretisch alle drei Wochen bereit für eine Befruchtung durch einen stattlichen Schweinebock. Dies ist natürlich nur die reine Theorie, die sich durch die Natur der Fruchtbarkeit ergibt. Keine Schweinedame möchte alle drei Wochen befruchtet werden. Aber Schweinedamen, die mit einem zeugungsunfähigen Kastraten zusammenleben, haben den Vorteil, alle drei Wochen ihren sexuellen Gelüsten nachgehen zu können, ohne jedes mal eine anstrengende Schwangerschaft und Geburt durchstehen zu müssen. Und sexuelle Gelüste haben Meerschweinchendamen (und –herren) sehr wohl, auch wenn man den kleinen putzigen Plüschkartoffeln, die ja überall auch noch als ideale Kindertiere verkauft werden, derartiges auf den ersten Blick nicht zutraut.
Auch wenn Schweinedamen schon im zarten Alter von etwa vier Wochen gedeckt werden können, zeigt sich sexuelles Interesse erst im jugendlichen Alter von ca. 6 bis 9 Monaten. Die rein biologische Empfängnisbereitschaft ist längst noch keine ausreichende Basis für sexuelles Interesse und Lust an der körperlichen Liebe - wie üblicherweise auch bei den Menschen.
Ab dem 6. bis 9. Lebensmonat zeigen junge Schweinedamen erstmals eigenständiges Interesse an der Herrenwelt und zeigen typische Anzeichen der Brünstigkeit.
Deutliche Anzeichen der Brünstigkeit von Schweinedamen sind das vermehrte Interesse am Schweinemann und die erhöhte Kontaktfreudigkeit. Während Schweinedamen üblicherweise geziert davonhüpfen, sobald sich eine Schweinemann von hinten nähert, bleiben brünstige Schweinedamen erwartungsvoll sitzen und strecken häufig ihr duftiges Hinterteil in die Höhe, sodass der Schweinemann auch sehen kann, was ihn Gutes erwartet. Schweinedamen, die dennoch weglaufen, trippeln während der Brunst erfahrungsgemäß deutlich langsamer davon, damit das Männchen nicht möglicherweise versehentlich abgehängt wird. Gelegentlich schaut die „weglaufende“ Schweinedame auch erwartungsvoll nach hinten, um zu schauen, wo denn ihr Verfolger bleibt.
Ganz eindeutige Zeichen können Schweinedamen an ihren Auserwählten senden, indem sie mit ihrer *piiiieeep* [zensiert] eine Art „Kussmund“ machen, mit dem sie ihren Traummann auf sich aufmerksam machen. Was für menschliche Wesen möglicherweise etwas anzüglich wirkt, ist für Meerschweinchen eine ganz normale Art der Kommunikation in trauter Zweisamkeit.
Nicht allen Meerschweinchendamen sieht oder merkt man ihre Brünstigkeit an. Ob dies von der Stärke des Hormonrauschs abhängt oder eher von der Persönlichkeit, ist uns nicht bekannt. Fakt ist jedoch, dass manche Schweinedamen jederzeit ausgeglichen und eher gering an körperlichen Kontakten interessiert zu sein scheinen, während anderen die hormonellen Schwankungen sehr deutlich anzumerken sind. Eine Abhängigkeit vom Alter haben wir dabei nicht feststellen können. Es gibt eher desinteressierte junge Schweinedamen im besten Zeugungsalter ebenso wie sehr rege Schweinedamen im gesetzten Alter mit einem ausgeprägten Sexleben.
Weibchen, deren Hormone förmlich überschäumen, oder die sich von ihrem Schweinemann nicht genügend beglückt fühlen, zeigen auch schon mal eindeutig männliches Verhalten, indem sie vermehrt herumpöbeln, brommselnd herumstacksen, bei anderen Schweinedamen aufreiten und generell aggressiver und angriffslustiger – z.B. bei der Verteidigung von Futter – sind.
Sexlust bei Schweinemännern
Bei Schweinemännern ist kein zyklusabhängiges Sexualverhalten erkennbar. Es richtet sich vielmehr nach dem Zyklus der Damen, die bestimmen, wann der Mann im Stall „randarf“ oder eben nicht. Schweinemänner mit einem kleinen Harem haben den Vorteil, dass nicht alle Schweinedamen gleichzeitig brünstig sind (völlige Auszehrung des Schweinemanns droht!) und sich so seine Sexgelegenheiten zeitlich etwas verteilen.
Meerschweinchenmänner scheinen Gentlemen zu sein. Sie wissen, wann ihre Damen fruchtig sind und bedrängen sie in der übrigen Zeit in der Regel nicht. Unerfahrene Schweinemänner, die dieses ungeschriebene Schweinegesetz missachten, bekommen schon mal eine deftige Urindusche mitten auf die Nase und lernen auf diese Art und Weise die Gentlemanregel kennen (siehe auch weiter unten: sexuelle Hyperaktivität).
Der Akt
Der Sexualakt ist bei Meerschweinchen eher eine schnelle Nummer. Das Männchen steigt hinten auf (Stellungswechsel konnten noch nie beobachtet werden) und ist nach wenigen Sekunden bereits fertig. Dafür können Schweinemänner scheinbar um so öfter. Ist eine Schweinedame rollig und auch der Herr in Laune, können locker 15 Akte oder mehr im Laufe eines Tages zustande kommen.
Häufig geht dem Akt eine kleine Verfolgungsjagd voraus. Auch Schweinedamen wollen nicht für Flittchen gehalten werden und laufen meist anständig ein bisschen davon. Dann bleiben sie aber in der Regel doch nach wenigen Schritten (völlig erschöpft versteht sich!!) stehen und geben sich der körperlichen Liebe hin. Dabei kann eine recht ordentliche Geräuschkulisse entstehen, die gleichzeitiges konzentriertes Arbeiten in dem Raum für jeden anderen völlig unmöglich macht. Das Gemiepse und Gequietsche (das sich wie ein etwas verwimmerter Protest anhört) geht dabei vom Weibchen aus. Die Tatsache, dass die Schweinedame aber häufig schon zwei Minuten später wieder mit einem „Kussmund“ in der Gegend herumknutscht, spricht jedoch dafür, dass auch das Gequietsche entweder doch lustvollen Ursprungs ist, oder das Bild einer hochanständigen Schweinedame aufrecht erhalten soll, die ja niemals freiwillig so einen Schweinskram mitmachen würde.
Sexualität bei Kastraten
Entgegen der gelegentlich geäußerten Meinung, dass Kastraten asexuelle Wesen oder sogar impotent seien, haben sie häufig ein regelmäßiges und lustvolles Sexualleben. Kastraten können zwar keine Schweinebabys zeugen (sonst hätte sich ein kleines Harem auch schnell auf eine riesige, unüberschaubare Anzahl von Schweinchen vergrößert, die sogar die Statik eines normalen Wohnhauses schnell in Gefahr bringen kann), aber auch Kastraten können ein Weibchen beglücken (sofern ihr Glück im Akt selbst begründet liegt und kein ausgeprägter Kinderwunsch vorliegt) und haben auch selber Interesse daran. Kastraten sind durchaus noch potent, können ein genauso „normales“ Sexualleben führen wie ihre unkastrierten Artgenossen – nur ohne Nachwuchs. Da es ohnehin schon viel zu viele Meerschweinchen gibt, die ein Zuhause suchen, sollten männliche Meerschweinchen, die mit Weibchen zusammenleben auf jeden Fall kastriert werden.
Petting bei Meerschweinchen
Meerschweinchen sind so süß und weich und plüschig, dass man den ganzen Tag mit ihnen kuscheln und schmusen möchte. Für Meerschweinchen selbst ist ihre Weichheit und Plüschigkeit scheinbar völlig normal und unspektakulär. Weder müssen sie den ganzen Tag ihr eigenes weiches Fell anfummeln (wie dies bei einigen Zweibeinern der Fall ist), noch sind sie begeistert davon, andere Schweinchen zu befummeln oder befummelt zu werden. Letzteres finden die allermeisten Meerschweinchen sogar sehr unangenehm.
Meerschweinchen kommunizieren über verschiedene Laute. Oder sie liegen einfach schweigsam in der Nähe eines anderen (aber immer noch mit gebührendem Abstand von etwa einer Schweinebreite) und wissen auch ohne Gefummel und viel Gequatsche, dass sie sich mögen. Körperkontakt im Sinne von Kuscheln ist für Meerschweinchen – auch untereinander – kein Liebesbeweis.
Homosexualität bei Meerschweinchen
Insbesondere bei gleichgeschlechtlichen Meerschweinchen, die als Paar (also nur zu zweit) gehalten werden, hört man immer wieder, es handle sich um ein homosexuelles Pärchen. Vermutlich kommen manche Leute auf diese Idee, wenn sie beobachten, wie ein Meerschweinchen bei einem gleichgeschlechtlichen Artgenossen hinten aufreitet. Doch das Aufreiten (was optisch erst einmal gar nicht vom richtigen Sex zu unterscheiden ist) hat nicht nur eine sexuelle Bedeutung, sondern kann auch ein Zeichen von Dominanz sein. Will ein Meerschweinchen seinem Kollegen (oder seiner Kollegin) zeigen, dass er bzw. sie der Boss bzw. die Bossin ist, so reiten sie auch schon mal auf, bringen unter Umständen den Unterlegenen zum Quietschen und reiten je nach Lust und Laune auch ein Momentchen auf ihrem „Partner“ (in diesem Moment wohl eher Opfer) herum. Ob sie dabei sexuelle Lust empfinden, ist schwer zu sagen. Noch haben alle Öttis zu diesem Thema vornehm geschwiegen. Es scheint einen Meerschweinchenkodex zu geben, dass manche Informationen auf keinen Fall an Leute mit weniger als vier Beinen weitergegeben werden dürfen. Pech für alle Vögel und Menschen.
Jedenfalls findet beim Dominanzaufreiten kein sexueller Akt im eigentlichen Sinne (also mit Penetration) statt. Es reicht aus, den anderen mit dem eigenen Körpergewicht ordentlich platt zu drücken, die Pfoten in den Schweinenacken oder sonst wohin zu stampfen und dem anderen wortwörtlich mal ein bisschen Druck zu machen. Dies können Männchen bei Weibchen, wie auch bei anderen Männchen machen und auch Weibchen reiten zu Unterjochungszwecken bei anderen Weibchen oder - wenn sie sich trauen – sogar auch bei Männchen auf. Mit Homosexualität hat das ganze nichts zu tun, sondern mit der reinen Freude daran, einem anderen zu zeigen, wer das Sagen hat. So ist das eben bei hochsozialen Gruppentieren.
Sexuelle Hyperaktivität
Junge Böckchen sind häufig ziemlich sexhungrig und versuchen ihr Glück auch bei Damen, die gerade nicht in Stimmung sind. Haben sie sich erst mal einige deutliche Absagen eingeholt (und Urin soll recht unangenehm in Augen und Nase sein), so werden sie meist etwas ruhiger und lernen einzuschätzen, wann ihre Annäherungsversuche erfolgversprechend sind und wann die pelzigen Schweinedamen besser in Ruhe zu lassen sind.
Bei weiblichen Meerschweinchen kann es vorkommen, dass sich die Brünstigkeit tagelang oder sogar wochenlang hinzieht. Das Schweinchen ist dann ständig rollig, besteigt alle unterlegenen Artgenossen, ist ständig unruhig und hält die ganze Schweinegruppe ununterbrochen in Atem. Solch überschießendes Sexualverhalten kann in einer Störung des Hormonhaushalts begründet sein (z.B. durch Zysten) und sollte einem meerschweinchenerfahrenen Tierarzt vorgestellt werden.
Normale Rolligkeit hält meist etwa zwei Tage an und lässt das Schweinchen trotzdem zwischendurch normal schlafen und fressen. Bei einer handfesten Hormonstörung sieht das anders aus und bedeutet sowohl für das Schweinchen selbst, das unter Dauerstrom steht, wie auch für alle anderen Gruppenmitglieder, die ständig bedrängt werden, Stress, der sogar andere Erkrankungen (insbesondere Pilz- und Parasitenbefall) begünstigen kann. Daher sollte im Zweifelsfall besser der Hormonhaushalt des Schweinchens überprüft und ggf. behandelt werden.
Bock auf Bock?