Meerschweinchen beim Tierarzt
Tierarzt – ja oder nein?
Bei der Erhaltung ihrer Art setzen Meerschweinchen in erster Linie auf ihre hohe Reproduktionsrate. Für uns mag es herzlos erscheinen, aber in freilebenden Meerschweinchenfamilien gilt die Devise: So viele Babys wie möglich produzieren, denn einige werden auf der Strecke bleiben.
In freier Wildbahn haben Meerschweinchen einer Krankheit meist nicht viel entgegenzusetzen. Nur zwei Tage ohne Nahrungsaufnahme werden bereits lebensgefährlich. Tierärzte sind in der südamerikanischen Steppe auch eher dünn gesäht. Und kaum eine Meerschweinfamilie hat genügend Geld auf der hohen Kante, um die ärztliche Behandlung eines Mitschweins zu bezahlen.
Ein krankes Meerschweinchen in freier Wildbahn hat somit kaum Überlebens-Chancen und wird vermutlich zur Erhaltung einer anderen Art beitragen (Schakale und Raubvögel müssen schließlich auch irgendetwas fressen).
Leider übertragen viele Meerschweinchenhalter dieses Schicksal auch auf Hausmeerschweinchen und verkünden: In freier Wildbahn hätte es auch keine Chance, also brauche ich auch nicht zum Tierarzt zu gehen. Oft genug wird man als verrückt erklärt, wenn man für ein Meerschweinchen Tierarztkosten bezahlt, die den „Anschaffungspreis“ übersteigen.
Das kranke Schweinchen wird seinem Schicksal überlassen und vegetiert vor sich hin, da ein Tierarztbesuch sich für so ein günstiges Tier nicht lohnt. Schaut man sich den Durchschnittspreis von Meerschweinchen an (ca. 25 Euro), so fragt man sich, ob dann überhaupt noch eine Behandlung im Krankheitsfall möglich ist. Was wäre ein akzeptabler Preis, um ein altes Meerschweinchen zu „reparieren“, wenn man doch für 25 Euro schon ein neues bekommt? Selbst 10 Euro (die im Normalfall schon für die Erstuntersuchung beim Tierarzt fällig werden) scheinen dann ja unvernünftig.
Wir sind der Meinung, dass man als Schweinehalter eine Verpflichtung gegenüber seinen Tieren hat und diese auch im Krankheitsfall medizinisch versorgen muss. Die Tatsache, dass ein krankes Meerschweinchen in der freien Wildbahn auch keine Tierarztbehandlung bekäme, ist in unseren Augen nur eine lahme Ausrede, um sich vor Arbeit und Kosten zu drücken.
Wer Meerschweinchen zu Hause haben möchte, der muss mit allen Konsequenzen leben und seine Schweine auch im Krankheitsfall angemessen versorgen. Schließlich leisten die kleinen Fellbirnen eine ganze Menge (siehe auch:
Nutztiere) und können dafür als Gegenleistung eine gute Versorgung – auch im Krankheitsfall – erwarten. Wer das nicht leisten kann oder will, der sollte die Meerschweinchen dann tatsächlich in der freien Wildbahn sitzen lassen bzw. nicht in der freien Wildbahn sondern einfach dort, wo sie gerade sind und nicht in einem Gehege in der eigenen Wohnung halten.
Die Wegwerf-Mentalität, die viele Menschen gegenüber Kleintieren an den Tag legen ist nicht nur herzlos, sondern auch verachtend dem Tier gegenüber. Aus welchem Grund sollte das Leben eines „günstigen“ Tieres weniger wert sein, als das eines teuren? Der Wert eines Tierlebens lässt sich ganz sicher nicht anhand des Preisschildes in der Zoohandlung bestimmen.
Wer bei der medizinischen Versorgung seiner Tiere „Kosten-Nutzen-Rechnungen“ aufstellt und gegenrechnet, wie viele neue Tiere er für die Behandlungskosten bekäme, sollte seine Tierhaltung noch mal grundsätzlich überdenken.
Sofort zum Tierarzt, oder noch warten?
Man wird nur selten ganz plötzlich und unerwartet ein todkrankes Meerschweinchen im Gehege finden, das innerhalb weniger Minuten einen Tierarzt benötigt. Wenn man seine Schweine regelmäßig gut beobachtet, kann man erste Krankheitsanzeichen oft schon früh erkennen. Dann stellt sich meist die Frage: Sofort zum Tierarzt fahren, oder lieber erst mal abwarten, ob sich das Problem von selbst erledigt und man sich selbst und dem Schwein den Arzt ersparen kann?
Ist man erfahrener Meerschweinchenhalter und kennt seine Schweine (und eventuelle Anfälligkeiten für bestimmte Erkrankungen), kann man in einigen Fällen selbst ganz gut abschätzen, ob das Tier sofort ärztliche Hilfe benötigt oder ob man selbst behandeln kann. Selbst behandeln sollte man nur dann, wenn eindeutig ist, dass das Schwein die gleiche Erkrankung wie beim letzten mal hat und man die entsprechenden Medikamente noch im Haus hat und die Dosierung bekannt ist. Wenn die Symptome allerdings dieses mal anders aussehen oder ein anderes Schwein erkrankt ist, oder wenn die Medikamente schon älter sind, sollte man auf jeden Fall noch einmal zum Arzt fahren und nicht einfach eigenmächtig behandeln! Insbesondere schwere Medikamente wie beispielsweise Kortison oder Antibiotika dürfen keinesfalls selbst „verordnet“ und angewendet werden!
Ist man Schweine-Anfänger oder hat keine Erfahrung mit kranken Schweinen, sollte man besser umgehend einen Tierarzt aufsuchen, sobald ein Schwein Krankheitsanzeichen zeigt (siehe auch:
Gesundheits-Check).
Meerschweinchen sind Rudeltiere, die mitunter recht herzloses Verhalten an den Tag legen: In freier Natur lebende Meerschweinchengruppen stoßen kranke Tiere aus der Gemeinschaft aus, da sie Fressfeinde anlocken und die Sicherheit der gesamten Gruppe riskieren. Daher neigen Meerschweinchen dazu, Krankheiten so lange wie möglich zu verstecken. Sie lassen sich nichts anmerken, solange es geht und täuschen auch erfahrene Schweinehalter lange über eine Krankheit hinweg. Erst dann, wenn es dem Schweinchen wirklich schlecht geht, ist dies auch sichtbar.
Wenn ein Meerschweinchen also Krankheitsanzeichen zeigt, kann man sich sicher sein, dass es auch ein ernst zu nehmendes Problem hat und nicht nur simuliert. Hypochondrie ist unter Meerschweinchen aus den oben genannten Gründen nicht bekannt. (Vielleicht gäbe es auch viel weniger hypochondrische Schwiegermütter, wenn sie aus der Familie ausgestoßen würden und nicht von der gesamten Familie umtanzt und umsorgt würden…. Nur mal so als Idee).
Bei klaren Krankheitsanzeichen (siehe:
Gesundheits-Check) sollte also noch am selben Tag ein Tierarzt (außerhalb der Sprechstunden auch ein tierärztlicher Notfalldienst) aufgesucht werden.
Tierarzt – Auswahl
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es nicht leicht ist, einen Tierarzt mit Meerschweinchen-Kenntnissen zu finden. Leider sind Meerschweinchen-Spezialisten sehr dünn gesäht und nur schwer zu finden – von den langen Anfahrtswegen mal ganz zu schweigen. Viele „normale“ Tierärzte für Kleintiere kennen sich leider nur mit Hunden und Katzen gut aus. An Meerschweinchen lässt sich anscheinend nicht genügend Geld verdienen (nicht zuletzt aus dem Grund, dass viele Meerschweinchenhalter nicht bereit sind, Behandlungskosten von mehr als 25 Euro zu bezahlen).
Hilfreich ist es, wenn ein Tierarzt selbst Meerschweinchen hält und sich aus eigenem Interesse mit der Tierart auseinander setzt.
Ansonsten lassen sich auch im Internet über Foren oft Tipps über meerschweinchen-erfahrene Ärzte finden. Unsere persönliche Tierarzt-Empfehlung für den Kreis Herford (Ostwestfalen) geben wir hier gerne weiter.
Eine etwas längere Anfahrt kann sich durchaus lohnen, um sich selbst endlose, erfolglose Behandlungsversuche und dem Tier eine lange Leidensgeschichte zu ersparen.
Alleine oder zu zweit?
Manchmal wird empfohlen, Meerschweinchen nicht alleine zum Tierarzt zu bringen. Da Meerschweinchen Gruppentiere sind, und das Alleinsein als zusätzlichen Stress empfinden, solle immer ein Mitschwein das Krankschwein zum Arzt begleiten.
Für sehr junge Schweine (bis zum Alter von ca. 3 Monaten), die noch im Dauerkontakt zur Schweinemama stehen, ist dies auch richtig. Schweinemutti und Jungtiere sollten auch für einen Arztbesuch nicht getrennt werden und gemeinsam zum Tierarzt fahren.
Wir haben unsere (erwachsenen) Schweine jedoch bisher immer alleine zum Arzt gebracht, wenn die anderen alle gesund waren. Unserer Erfahrung nach sind Meerschweinchen von einem Tierarztbesuch derart gestresst, dass sie die Gesellschaft eines Leidensgenossens kaum noch wahrnehmen. Außerdem suchen ja auch Meerschweinchen – obwohl sie Gruppentiere sind – immer mal wieder ruhige Plätzchen zum Alleinsein auf, um sich zu entspannen. Das kurzfristige Alleinsein ist also nicht mit dem Stress bei Einzelhaltung zu vergleichen. Unserer Erfahrung nach können auch Meerschweinchen einige Stunden ohne Artgenossen grundsätzlich unbeschadet überstehen.
Wir haben daher immer abgewogen, ob der Stress, den das mitreisende Schwein erleiden muss (Schnappen, Transport, Wartezimmer, Arztzimmer,…) nicht größer ist als der Nutzen, den das Krankschwein von einem Artgenossen hat. Darum reisen die Sifle-Schweine ganz mutig alleine zum Tierarzt – wenn es denn mal sein muss.
Der Weg zum Tierarzt
Die Box
Für den Transport schafft man sich am besten eine kleine Transportbox für Meerschweinchen an. Sie sollte dem Schwein genügend Platz zum Umdrehen bieten und rundum geschlossen sein. Zur Belüftung müssen natürlich genügend Löcher / Spalte vorhanden sein. Viele Transportboxen haben durchsichtige Deckel, damit der Halter den kleinen Liebling die ganze Zeit beobachten kann. Für Meerschweinchen ist dieses Eingesperrtsein in durchsichtigen Boxen ein Horrortrip. Es kann nicht flüchten und fühlt sich die ganze Zeit unsicher. Es empfiehlt sich daher, eine blickdichte Transportbox zu kaufen, oder durchsichtige Teile mit einem Tuch abzudecken. So bleibt dem Schwein zumindest die kleine Illusion, sich in einem dunklen – und vermeintlich sicheren – Versteck zu befinden.
Am besten richtet man dem Schwein die Box für den Transport so gemütlich wie nur möglich ein. Ein Handtuch auf dem Plastikboden sorgt dafür, dass das Schwein nicht unkontrolliert durch die Gegend schliddert. Auf jeden Fall sollte genügend Heu in der Box vorhanden sein, in das sich das Schwein verkriechen kann. Außerdem beruhigt Heu mampfen die Nerven. Ein bisschen Einstreu aus dem heimischen Gehege kann einen zusätzlichen Wohlfühleffekt bringen. So hat man bei den vielen fremden Gerüchen zumindest ein kleines bisschen vom beruhigenden Zuhause-Geruch dabei.
Im Winter sollte unter das Handtuch eine kleine lauwarme Wärmflasche gelegt werden, damit das Schweinchen nicht auskühlt. Zugluft sollte auf jeden Fall vermieden werden.
Der Transport
Egal wie teuer die Box war und wie sehr man dem Hersteller vertraut: Transportboxen sollten immer „am Körper“ und nicht am Henkel getragen werden. Bei einem Sturz der Transportbox kann man sich den Arztbesuch vermutlich gleich sparen, da Meerschweinchen nicht besonders stressresistent sind… Außerdem vermeidet man durch ein direktes Tragen der Box ein Hin-und-Herpendeln, was Meerschweinchen sicher auch nicht besonders gefällt. Obwohl sie „Meer“schweinchen heißen, sind es keine Seefahrer und da Meerschweinchen sehr erdverbundene Tiere sind, halten sie sicher nicht viel von wilden Schwenkbewegungen in der Luft.
Bei der Fahrt mit dem Auto sollte die Transportbox unbedingt ausreichend gesichert werden, damit sie nicht kippt oder im Auto umherfliegt. Crashtestberichte von Meerschwein-Dummys sind uns nicht bekannt, aber man muss ja auch nicht ALLES vorher testen, um zu erkennen, dass es keine gute Idee ist.
Eine einfache Methode zur sicheren Fixierung der Transportbox sieht folgendermaßen aus: Eine Plastik-Stapelbox innen mit einer Decke auskleiden, die Transportbox mit Schweinefüllung in die Mitte setzen (das darf ruhig etwas „stramm“ sitzen), das ganze Gebilde auf dem Beifahrersitz anschnallen und los geht’s. Derart gesichert ist theoretisch auch eine Fahrt über die Alpen möglich, aber die meisten Schweine machen Urlaub lieber zu Hause, sodass eine Alpenüberquerung nicht sinnvoll ist (außer vielleicht zu einer kleinen Exkursion um frisches Bergwiesenheu zu holen, aber das ist schon wieder ein anderes Thema.)
Beim Arzt angekommen
Im Wartezimmer
Für ein Meerschweinchen ist der Transport zum Tierarzt großer Stress, es kommt daher schon entsprechend „aufgelöst“ im Tierarzt-Wartezimmer an. Es weiß zwar nichts von dem, was ihm bevorsteht, aber die fremden Gerüche und Geräusche von möglichen Fressfeinden in direkter Nähe reichen aus, um das Schwein zusätzlich in Angst und Schrecken zu versetzen. Auch wenn Nachbars Lumpi eine herzensgute Dackelseele hat und Minka ja fest verschlossen in ihrer Transportbox sitzt: Das nervlich angegriffene Meerschweinchen wird sicher nicht mehr so weit denken und sich in seine Todesangst nur noch weiter hineinsteigern wenn es anderen Tieren auch noch sichtbar ausgesetzt wird.
Man sollte sich als Schweinehalter daher unbedingt zusammenreißen und die Transportbox auf jeden Fall geschlossen (am besten mit einem Tuch abgedeckt) halten und möglichst nicht bewegen.
Im Behandlungszimmer
Denken Sie daran: Die Transportbox mit den wenigen vertrauten Gerüchen ist der letzte Zufluchtsort des Schweinchens vor seinem sicheren Tod. (Auch wenn der Tierarzt nur die Krallen schneiden soll: Meerschweinchen reagieren unter Angst oft etwas irrational und neigen zum Dramatisieren.) Nehmen Sie seine Angst ernst und lassen Sie das Schwein so lange wie möglich in der Transportbox sitzen.
Auf dem Behandlungstisch sollte das Tier immer gut fixiert werden. Setzen Sie es keinesfalls einfach auf den Behandlungstisch, in dem Vertrauen, dass es dort genauso ruhig sitzen bleiben wird, wie es dies vielleicht zu Hause auf dem Wohnzimmertisch macht. Die fremden Gerüche und Menschen, das helle Licht und der ganze vorangehende Stress machen möglicherweise auch aus einem Gemütsschwein ein Nervenbündel, das in blinder Panik vom Behandlungstisch springt.
Der Arzt
Erzählen Sie dem Tierarzt die ganze Geschichte, warum Sie gekommen sind. Berichten Sie von allen Veränderungen am Schweinchen, die Sie in den letzten Tagen (oder Wochen) bemerkt haben. Schreiben Sie sich eventuell vorher einen kleinen Notizzettel, um keinen wichtigen Punkt zu vergessen. Eine Hilfe können dabei die Gewichtstabelle und die Gesundheits-Checkliste aus dem Download-Bereich sein.
Lassen Sie sich vom Arzt die Diagnose erklären und fragen Sie nach, welche Medikamente gegeben werden.
Wenn Sie dem Schwein zu Hause weiterhin Medikamente geben sollen, lassen Sie sich die Dosierung genau erklären (evtl. aufschreiben) und lassen Sie sich, wenn nötig, zeigen, wie Sie die Medikamente ins Schwein hinein bekommen (Verwendung von Pipette, Spritze, etc).
Es ist keine Schande, vorab nach anfallenden Behandlungskosten zu fragen oder den Arzt um seine Einschätzung der Behandlungs-Chancen zu bitten.
Wenn Sie das Gefühl haben, dass der Tierarzt ratlos ist oder in dem speziellen Fall nicht weiter weiß, holen Sie sich eventuell eine zweite Meinung bei einem anderen Arzt ein. Leider ist nicht jeder Arzt so ehrlich, auch zuzugeben, wenn er mal keine Ahnung hat.
Wieder zu Hause
Setzen Sie das Schwein zu Hause möglichst bald wieder in seine vertraute Umgebung und gönnen Sie ihm eine lange Verschnaufpause, um sich von dem Stress zu erholen. Nehmen Sie es Ihrem Schwein nicht übel, wenn es ein paar Tage etwas scheu ist. Schließlich weiß es nicht, ob es nicht vielleicht noch einmal aus dem Gehege geschnappt und zum Schweinemetzger gefahren wird. Denn das Schwein ist sich bestimmt GANZ sicher, dass es diesen Horrortrip nur durch einen glücklichen Zufall lebend überstanden hat.
Schön gesund bleiben!